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Kriegstraumata wirklich überall in Serbien behandelbar?

1. Dezember 2004

- Berliner Psychologen besuchen aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge

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Bonn, 29.11.2004, DW-Radio / Albanisch, Anila Shuka

Wenn 2005 das neue Zuwanderungsgesetz in Deutschland in Kraft tritt, könnte es vermehrt zu Abschiebungen von Menschen führen, die bisher eine Duldung hatten - das befürchten Flüchtlingsorganisationen. In diese Kategorie fallen auch viele Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, von denen zahlreiche noch immer unter Kriegstraumata leiden. Einige von ihnen wurden schon mit der richterlichen Begründung abgeschoben, dass sie auch in ihrer Heimat weiterbehandelt werden könnten. Um diese Vorwürfe zu überprüfen und sich ein Bild zu machen, wie Kriegstraumata dort behandelt werden können, ist eine Gruppe Berliner Psychotherapeuten nach Serbien gereist. Anila Shuka hat sie begleitet:

Bisera Musovic sitzt im Wohnzimmer. Die Augen der 45-Jährigen bewegen sich pausenlos hin und her, von links nach rechts. Die Berliner Psychologin Cecile Koßmann übergibt ihrer ehemaligen Patientin einen Rucksack voller Arzneimittel:

"Hier das ist die letzte Medikamentierung von eurem Arzt, kannst du das verstehen?"

Koßmann hat die Medikamente bei verschiedenen Psychiatern in Berlin besorgt, teilweise kostenlos, oder in den Apotheken gekauft.

Bisera Musovic ist gerührt, bedankt sich herzlich. Nach einer kurzen Pause fährt sie fort: "Ich habe gar nichts mehr, nicht einmal eine Couch, auf der ich sitzen kann. In zwei Wochen muss ich aus der Wohnung hier raus."

In einem 25 Quadratmeter großen Zimmer ist sie mit ihren erwachsenen Kindern und ihrem Mann untergebracht. Ihr Vater, dem die Wohnung im südserbischen Novi Pazar gehört, schläft im Flur. Vor knapp drei Wochen wurde die muslimische Familie aus Deutschland, wo sie fünf Jahre lang eine Duldung hatte, zwangsweise abgeschoben. Alles, was sie in ihrer Wohnung im Flüchtlingsheim hatten - Möbel und Hausgeräte - mussten sie zurücklassen. Die Ausländerbehörde kam mit der Kriminalpolizei, um sie zu zwingen, das Land sofort zu verlassen.

Wie Verbrecher habe man sie behandelt, erzählt die 18-jährige Tochter Semi in akzentfreiem Deutsch. Sieben Tage hat die Familie danach in einem Berliner Abschiebegefängnis verbracht. Der Schock sitzt immer noch tief: "Ich bin etwas nervös und ich vergesse Deutsch schon jetzt. Wir sind zum Amtsgericht gegangen und wurden nach sieben Tagen freigelassen. Mein Vater musste dort noch acht weitere Tage bleiben - und jetzt sind wir eben da, wo wir sind."

Zahlreiche Gerichtsgutachten und Stellungsnahmen hat Cecile Koßmann über die Suizid-Gefährdung von Bisera Musovic geschrieben - vergeblich. Das Gericht verwies auf Berichte der deutschen Botschaft in Belgrad. In der Begründung der Abschiebung hieß es, dass alle Krankheiten von Frau Musovic auch in Serbien behandelt werden könnten.

Raif Hazirovic ist der einzige Psychiater im Krankenhaus von Novi Pazar. Er lächelt traurig, als er von den deutschen Ärzte-Kollegen die Begründung des Berliner Richters hört. Das Gesundheitszentrum ist die einzige medizinische Anlaufstelle für die Menschen aus Novi Pazar und der Umgebung. Für psychisch Kranke bietet das Zentrum nur ambulante Behandlung. 25 bis 30 Menschen muss Hazirovic täglich behandeln - er ist der einzige Psychiater hier. Traumatisierten verschreibt er nur auf die Schnelle Medikamente, für Sitzungen fehlt ihm die Zeit. Dabei ist die Zahl der ernsthaften psychischen Erkrankungen enorm groß: Alleine in Novi Pazar, berichtet Hazirovic, gibt es 1 000 Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, und dazu noch weit mehr als 1 000 Drogensüchtige.

Plötzlich kommt ein Mann auf die Besucher-Gruppe aus Berlin zu und ruft auf Deutsch: "Schauen Sie sich das an! Was für ein Hospital ist das! Bitte, fotografieren sie es!" Der Mann zeigt auf schwarze Schimmelflecken an der Decke über die Krankenbetten und den Zimmerecken.

Die 100 000 Einwohner zählende Stadt Novi Pazar liegt in der Region zwischen Kosovo und Bosnien. Während der Kriege in den 1990er Jahren hat die Stadt zeitweilig bis zu 100 000 Flüchtlinge beherbergt. Auch wenn ihre Zahl mittlerweile stark gesunken ist - die Probleme sind geblieben. Ismet Suljovic von der Hilfsorganisation "Merhamet" erzählt:

"Allein in Novi Pazar leben jetzt noch 4 500 Flüchtlinge. 1 500 Familien sind von der Sozialhilfe abhängig. Es kommt keine humanitäre Hilfe aus Westeuropa mehr. Das macht das Überleben noch schwerer. Wir haben auch Volksküchen, 500 Menschen werden über "Merhamet" ernährt. Es gibt auch eine öffentliche Küche des Roten Kreuzes. Das reicht aber nicht, denn noch immer stehen 700 Menschen auf der Warteliste."

Rückkehrer hätten keinen Gesundheitsschutz, sagt Suljovic. Auch viele Familienangehörige würden nicht mehr helfen.

Die 18-jährige Semi hat verstanden, dass sie ihre Familie selbst ernähren muss. Kurz nach ihrer Abschiebung aus Deutschland hat sie in Serbien eine Genehmigung bekommen, um als vereidigte Dolmetscherin für 90 Euro im Monat zu arbeiten. Damit muss nun ihre ganze Familie auskommen. Ihren Traum, das Geld für ein Medizinstudium in Deutschland zu sparen muss die 18-Jährige zurückstellen. (fp)