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KonflikteIsrael

Krieg in Gaza: Eine alternative Friedensstimme aus Israel

Djamilia Prange de Oliveira
26. Juli 2024

Weder "Pro-Israel" noch "Pro-Palästina": Mit einem Podcast suchen zwei junge Aktivisten, die sich als palästinensische Israelis verstehen, einen Weg aus Gewalt und Polarisierung - und fordern Anerkennung ihrer Identität.

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Ibrahim und Amira gemeinsam in Nahaufnahme
Ibrahim Abu Ahmad und Amira Mohammed setzen sich für Frieden und einen Diskurs jenseits von Polarisierung im Nahostkonflikt einBild: Alexi J. Rosenfeld/Getty Images

Maoz Inons Eltern waren unter den ersten Opfern der Angriffe der Hamas auf Israel am Morgen des 7. Oktober. Trotz des Schmerzes war ihm zwei Tage nach der Tragödie klar: Er will keine Rache.

"Rache wird meine Eltern nicht zurückbringen. Sie wird auch andere getötete Israelis und Palästinenser nicht zurückbringen", wird er wenig später dazu schreiben.

In derselben Nacht hatte der israelische Unternehmer und Friedensaktivist einen Traum. Er sah blutgetränkte Straßen und weinte. "Ich habe nicht allein geweint, sondern mit allen, die von diesem Krieg verwundet sind. Unsere Tränen haben das Blut von den Straßen gewaschen."

So schildert er es im Podcast "Unapologetic: The Third Narrative". Was Maoz sah, war für ihn kein Albtraum, sondern die Vision einer besseren Zukunft, ohne Blutvergießen.

"Hoffnung ist etwas, das man tut"

Auch Hamze Awawde träumt. Der palästinensische Autor und Friedensaktivist erzählt in demselben Podcast, wie er im Traum Bilder von israelischen Soldaten sieht. Sie kommen, um ihn und seine Familie zu töten, so wie sie seinen Cousin getötet hätten.

Israel und die Araber: eine Geschichte von Hass und Gewalt?

Hamze ist Friedensaktivist geworden, weil für ihn Hoffnung kein Gefühl ist, sondern etwas, was man tut, sagt er. "Auf zwei Staaten zu warten, fühlt sich so an, wie auf den Messias zu warten", schreibt er in einem seiner jüngsten Essays.

Jenseits von Feindbildern

Was Hamze und Maoz gemeinsam haben, ist ihre Hoffnung auf ein Ende des Kriegs. Deshalb sind sie Gäste in dem Podcast. Das Format wurde noch im Oktober 2023 gegründet, unmittelbar nach den Angriffen der Hamas, die von den USA, der EU und anderen als Terrororganisation eingestuft wird. 

Die beiden Gründer, Amira Mohammed und Ibrahim Abu Ahmad, gehören zu den Arabern in Israel, die eine israelische Staatsangehörigkeit besitzen. Das sind laut der israelischen Statistikbehörde etwa 17 Prozent. Insgesamt sind gut 21 Prozent der Bevölkerung auf israelischem Staatsgebiet Araber.

Die palästinensischen Israelis Amira und Ibrahim sprechen im Abendlicht gemeinsam über ihren Podcast
Amira und Ibrahim sprechen über ihren Podcast "Unapologetic: The Third Narrative"Bild: Alexi J. Rosenfeld/Getty Images

Amira und Ibrahim definieren sich – so wie laut Umfragen der Großteil ihrer Community – als palästinensische Israelis. Eine Identität, für die sie politisch kämpfen müssen, denn der israelische Staat lehnt eine palästinensische Identität bei Staatsbürgern ab und versteht sie als "arabische Israelis".

Amira ist überzeugt, dass Bürger wie sie genau wegen ihrer Identität eine Schlüsselrolle im Nahost-Konflikt spielen könnten – und sollten. "Wir werden uns nicht einigen", sagt Amira im DW-Gespräch. "Egal, ob es darum geht, was genau am 7. Oktober passiert ist, ob wir es einen Krieg oder einen Genozid nennen, oder wie viele Menschen in Gaza gestorben sind. Aber wir müssen uns auf eine Zukunft einigen."

Gegen Schwarz-Weiß-Denken

Eine Zukunft sehen Amira und Ibrahim jenseits von Polarisierung. "Was wir mit diesem Podcast erreichen wollen, ist ein drittes Narrativ im Westen", erklärt Ibrahim.

Deshalb wenden sich die beiden auch in erster Linie an ein westliches Publikum. "Im Westen gibt es oft ein Schwarz-Weiß-Denken. Man ist entweder pro-palästinensisch oder pro-israelisch", sagt er in der ersten Folge.

Protestierende treffen bei einer propalästinensischen Demonstration in Berlin auf zahlreiche Polizisten
Pro-palästinensische Demonstration im Mai 2024 in BerlinBild: RALF HIRSCHBERGER / AFP

"Anstatt wie in einem Fußballspiel für Messi oder Ronaldo zu jubeln, sollten Menschen im Westen ihre Plattformen dafür nutzen, alle Parteien gleichermaßen zu kritisieren", meint Amira. Der Erfolg gibt ihnen Recht: Bis zu 180.000 Menschen hören jede Episode des Podcasts, fast 30.000 folgen auf Instagram.

"Zu israelisch" oder "schlechte Araberin"?

Trotz allem Erfolg kämpfen die beiden Aktivisten täglich mit Rückschlägen. Es komme Widerstand von allen Seiten, berichtet Amira. Spricht sie in der Öffentlichkeit Arabisch, schauen Israelis sie verängstigt an. Spricht sie Hebräisch ohne arabischen Akzent, trauen viele Palästinenser ihr nicht, erzählt sie.

"Wir werden von allen Seiten delegitimiert. Wenn ich ‘zu israelisch' bin, stelle ich mich auf die Seite des Unterdrückers. Wenn ich eine ‘zu stolze Palästinenserin bin', legitimiere ich Terror oder werde als ‘schlechte Araberin' hingestellt", so Amira.

Sie ist überzeugt, dass die duale Identität von ihr und vielen anderen ein ungenutztes Potenzial in diesem Konflikt sei: "Wir kennen beide Kulturen und fühlen den Schmerz beider Seiten. Aber solange wir nicht als palästinensische Israelis anerkannt werden, können wir unserer Rolle als Vermittler auch nicht gerecht werden. Wir sind eine Minderheit, aber wir wollen als das repräsentiert werden, was wir sind", sagt Amira.

Zwiespältige Gefühle

Am 7. Oktober spürte sie ihre eigene duale Identität besonders stark. "Es war ein Desaster. Ich wusste nicht, was ich fühlen soll", erinnert sie sich. Während Amira in einem Treppenhaus im Süden Israels, unweit von Gaza, Schutz vor den Bomben suchte, klebte sie an ihrem Handy und konsumierte die Bilder der Geschehnisse in Echtzeit.

Sie sah, wie Palästinenser den Grenzzaun durchbrachen, der sie seit dreißig Jahren auf 365 Quadratkilometern in Gaza abriegelt. Eine Fläche, nicht mal halb so groß wie Hamburg, mit über zwei Millionen Menschen. "Zu sehen, wie die Menschen aus Gaza herauskönnen, hat mich auch ein bisschen erleichtert. Sie verdienen es, frei zu sein", sagt Amira. Doch die Menschen, die den Zaun durchbrachen, suchten nicht die Freiheit – sie ermordeten mindestens 1200 Menschen, setzten Häuser in Brand, vergewaltigten Frauen und nahmen hunderte Geiseln mit nach Gaza.

Hunderte von Demonstranten halten Schilder mit der Aufschrift "Bring them home" hoch und fordern die sofortige Freilassung der Geiseln im Israel-Gaza Konflikt
Protestierende in Israel fordern während einer Kundgebung in Tel Aviv die Freilassung der von der Hamas entführten GeiselnBild: Ariel Schalit/AP/dpa/picture alliance

Immer noch im Treppenhaus, sah Amira die Bilder von Leichen junger Frauen und Geiseln, die auf Pickup-Trucks in den Gazastreifen verschleppt wurden, während sie spürte, wie das Gebäude um sie herum bebte. Bombe um Bombe.

"Das hätte genauso gut ich gewesen sein können. Für mich war das der Moment, in dem ich meine israelische Seite gefühlt habe", erinnert sie sich.

"Wir alle haben Besseres verdient"

Mehr als neun Monate nach dem Überfall der Hamas auf Israel geht der Krieg weiter. Die Bilanz ist blutig: Mehr als 39.000 Menschen sind laut UN-Angaben bei israelischen Angriffen im Gazastreifen getötet worden, 120 israelische und weitere Geiseln befinden sich immer noch in Hamas-Gefangenschaft. Frieden scheint nicht in Sicht.

Ein junger Mann blickt auf aufsteigende Flammen und Rauch bei einem israelischen Luftangriff auf ein Wohnhaus in Nuseirat, Gaza
Ein israelischer Luftangriff auf ein Wohnhaus in Nuseirat, GazaBild: Omar Naaman/REUTERS

Die beiden Podcaster machen dennoch weiter. Sie wollen sich mit Palästinensern und Israelis solidarisieren - und beide kritisieren dürfen, ohne sich rechtfertigen zu müssen, sagt Amira. "Wir wollen das Blutvergießen und den Krieg stoppen. Palästinenser, Israelis, Christen, Juden, Muslime – wir alle haben etwas Besseres verdient."