Kosovo: Ungewissheit trotz Wahlsieg für Regierungspartei
10. Februar 2025Um Mitternacht ist die Stimmung in der Zentrale der in Kosovo regierenden linken Partei Vetevendosja (Selbstbestimmung, VV) ausgelassen. Im Parteigebäude im Zentrum der Hauptstadt Prishtina sind alle in Feierlaune, immer wieder rufen die Versammelten stolz: "Albin! Baba!" Als 'Baba' - Vater - bezeichnen sie den Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Albin Kurti - obwohl er erst 49 Jahre alt ist und oft immer noch recht jugendlich-ungestüm wirkt, nicht wie ein Patriarch. In der Parteizentrale färbt sich das Bild von den vielen Fahnen rot. Mitglieder und Anhänger von Vetevendosja schwenken die Parteiflagge - eine rote Fahne mit weißem V darin - und die Fahne der Albaner, ebenfalls rot und mit dem schwarzen Doppeladler als Symbol.
Albin Kurti, ehemals Studentenführer und politischer Häftling unter dem serbischen Diktator Slobodan Milosevic, kam mit seiner Partei Vetevendosja erstmals vor vier Jahren an die Regierung - und führte mit der absoluten Mehrheit, die er damals holte, eine Zäsur in der kosovarischen Politik herbei. Auch diesmal gewann Vetevendosja mit großem Abstand, obwohl es für die absolute Mehrheit nicht reichte. Kurtis Partei kommt nach bisheriger Auszählung von rund 90 Prozent aller Stimmen auf etwa 41 Prozent.
Die derzeit größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei Kosovos (PDK), die den politischen Flügel der früheren Kosovarischen Befreiungsarmee UCK repräsentiert, erhielt 22,4 Prozent. Die Demokratische Liga Kosovos (LDK), gegründet vom 2006 verstorbenen Ibrahim Rugova, Anführer des gewaltlosen Widerstands gegen Serbien und später erster Staatspräsident Kosovos, kam auf rund 17,6 Prozent. Die Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) des Ex-UCK-Kommandanten und Ex-Premiers Ramush Haradinaj erzielte 7,6 Prozent. Die im kosovarischen Parlament garantierten zehn Sitze für die serbische Minderheit gingen erneut alle an die Vertreter der Srpska Lista, die dem serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vucic nahesteht.
Die Wahlbeteiligung war mit rund 40 Prozent sehr niedrig. Teils dürfte das mit der verbreiteten Politikmüdigkeit in Kosovo zusammenhängen, teils damit, dass viele noch in Kosovo gemeldete Bürger in Westeuropa arbeiten und andere Prioritäten haben, als zur Wahl zu gehen.
Opposition konnte nicht profitieren
"Die vorläufigen Zahlen zeigen eine klare Wahrheit", erklärte Kurti in der Nacht zum Montag. "Vetevendosja ist die Gewinnerin dieser Wahl. Der Wahlprozess war frei, fair und demokratisch. Und was sich bereits jetzt abzeichnet: Selbst wenn PDK und LDK ihre Kräfte bündeln, erreichen sie gemeinsam nicht so viele Stimmen wie wir." Kurti lässt keinen Zweifel: Er sieht das Wahlergebnis als Erfolg und Bestätigung seiner Politik, die vor allem international als sehr polarisierend wahrgenommen wurde.
Für die kosovarische Politologin Donika Emini von der CiviKos Platform stellt das Wahlergebnis jedoch eine "Korrektur gegenüber 2021" dar. "Die Regierung wurde für ihre politische Arroganz und die Wahrnehmung einer nicht integrativen Regierungsführung sowie für ihre begrenzten Erfolge in der internationalen Politik bestraft", sagt sie der DW. Sie bescheinigt Kurti einen "Mangel an Kommunikation und Rechenschaftspflicht gegenüber den Bürgern". Dennoch, so Emini, habe die Opposition nicht von der Unzufriedenheit der Wähler profitieren können.
Starke Präsenz des Premiers
Eine relative Mehrheit der Kosovo-Albaner fand jedoch vor allem Albin Kurtis Politik, Kosovos Souveränität konsequent durchzusetzen, offenbar richtig. Gerade in jüngster Zeit hatte Kurti diese Politik gegen viele Widerstände auch aus der internationalen Gemeinschaft durchgesetzt. Er schaffte serbische Parallelstrukturen im Norden Kosovos ab, ließ beispielsweise serbische Post- und Bankfilialen im dem Landesteil schließen oder die serbische Währung Dinar aus Kosovo verbannen.
Für die Politologin Donika Emini ist diese Politik der Hauptgrund für Kurtis Erfolg. Sie verweist auf Vetevendosjas Wahlkampfmotto "Bis in jede Ecke" ("Cep me cep"), das die Stärkung der staatlichen Kontrolle auf dem gesamten Territorium Kosovos betont. Ein entscheidender Faktor sei allerdings auch Kurtis starke und dominierende Präsenz als Regierungschef und als Führungsfigur gewesen, so Emini.
Demokratisches Musterland der Region
Insgesamt, so betont die Politologin, sei Kosovo der demokratische Musterknabe in der Westbalkan-Region. "Die Wahlergebnisse zeugen von der Verwurzelung der demokratischen Kultur und dem hohen politischen Bewusstsein bei den kosovarischen Wählern." Tatsächlich ragt Kosovo bei Wahlen in der Region immer wieder hervor. Beispielsweise gibt es im Land im Gegensatz zu nahezu allen anderen Nachbarländern keine massiven Wahlfälschungen.
Wie es nun weitergeht im Land, ist jedoch unklar. Die bisherigen Oppositionsparteien haben öffentlich erklärt, dass sie entweder in der Opposition bleiben werden oder gemeinsam eine Regierung bilden. Ob sie dafür eine Mehrheit zusammenbekommen, muss sich allerdings erst zeigen. Für Kurti bliebe umgekehrt keine andere Möglichkeit, als eine Minderheitenregierung zu bilden.
Neuer internationaler Kontext
Auch der internationale Kontext dürfte sich für Kosovo ändern: Die EU hatte bisher zwei zentrale Kosovo-Verantwortliche, die aus EU-Ländern kamen, die Kosovo nicht anerkennen - den spanischen EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und den slowakischen EU-Sonderbeauftragten für den Dialog zwischen Kosovo und Serbien, Miroslav Lajcak. Mit den neuen Beauftragen wird das anders: EU-Außenbeauftragte ist die estnische Ex-Regierungschefin Kaja Kallas, EU-Sonderbeauftragter der Däne Peter Sorensen.
Die andere große Unbekannte ist die neue US-Regierung. Die USA sind traditionell der mächtigste Verbündete Kosovos. Doch unter Albin Kurti bahnt sich mit dem US-Präsidenten Donald Trump eine Konfrontation an. Trumps neuer Sondergesandter für Krisen in der Welt, Richard Grenell, ist ein erklärter Gegner Kurtis und Freund der Autokraten in der Westbalkan-Region, vor allem des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic und des albanischen Premiers Edi Rama.
So wie sein Chef führt auch Grenell gern das Wort "Deal" im Munde. Während Trumps vorheriger Amtszeit (2017-2021) war Grenell Westbalkan-Sondergesandter und versprach beispielsweise eine "Friedensautobahn" zwischen Kosovo und Serbien. Wer heute diese Autobahn befahren will, findet sich wenige Kilometer nach der Abfahrt von der A1 im serbischen Nis auf einer alten Straße wieder, die durch viele kleine Orte führt und sich bis zur Grenze nach Kosovo derart verschlechtert, dass man nur im Schritttempo fahren kann und hunderte von Schlaglöchern umrunden muss.