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Kosovo macht Weg für Sondertribunal frei

3. August 2015

Das Parlament in Pristina hat sich dem internationalem Druck gebeugt und mit einer Verfassungsänderung den Weg für ein Sondertribunal geebnet. Das Gericht soll Gräueltaten von Albanern an Serben im Kosovo-Krieg ahnden.

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Kosovo Parlament macht Weg für Sondertribunal frei (Foto: AP/picture alliance)
Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Kryeziu

Im Parlament des jüngsten Balkanstaates stimmten 82 der 120 Parlamentarier für die Verfassungsänderung, fünf votierten dagegen. Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Das Gericht soll Morde, Verschleppungen, Vertreibungen, sexuelle Gewalt und die Zerstörung von Kirchen, aber auch den Handel mit Drogen und Organen von Gefangenen untersuchen. Die Verbrechen sollen Rebellen der inzwischen aufgelösten Kosovo-albanischen Befreiungsarmee (UCK) in der Zeit von 1998 bis Ende 2000 begangen haben.

Der Hauptsitz des neuen Kriegsverbrechertribunals wird formell im Kosovo sein. Doch es soll auch einen zweiten Sitz außerhalb des Balkanstaates in den Niederlanden geben. Die ausschließlich von internationalen Richtern geleitete Behörde wird den Großteil ihrer Arbeit in Den Haag erledigen, wo das Haager Kriegsverbrechertribunal bereits große Erfahrungen mit der juristischen Aufarbeitung des kriegerischen Zerfalls des ehemaligen Jugoslawiens hat. Ein weiterer wichtiger Grund für die Auslagerung nach Den Haag ist der im Kosovo nur sehr unzureichende Zeugenschutz, obwohl vor Jahren bereits ein Gesetz dazu verabschiedet wurde. So sind in den vergangenen Jahren wiederholt Zeugen, die bereit waren, gegen frühere Kommandanten und Mitglieder der UCK auszusagen, massiv eingeschüchtert oder umgebracht worden.

UCK-Veteranen protestierten vor dem Parlament gegen das Tribunal und riefen "Verräter". Das Tribunal gilt als Teil des Normalisierungsprozesses zwischen Serbien und dem Kosovo, um den sich die Europäische Union bemüht. Ziel der EU ist es, die serbische Minderheit in dem fast nur noch von Albanern bewohnten Kosovo zu integrieren. Das Kosovo hatte 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt.

UCK-Kämpfer im Jahr 1999 (Foto: dpa/picture alliance)
UCK-Kämpfer im Jahr 1999Bild: picture-alliance/dpa/B. Slatensek

Fast alle Parteien waren zunächst gegen ein Tribunal

Die kosovarische Regierung wollte ursprünglich kein Kriegsverbrechertribunal - und auch fast alle politischen Parteien waren dagegen. Trotzdem stimmte das Parlament in Pristina bereits im April 2014 mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten für die ungeliebte Vorlage. Aus freien Stücken erfolgte dies jedoch nicht. Angesichts des anhaltenden, hohen Drucks sowohl der Europäischen Union als auch der USA, rund eineinhalb Jahrzehnte nach Kriegsende endlich auch die von Kosovo-albanischer Seite begangenen Verbrechen juristisch aufzuarbeiten, gab es für das Parlament in Pristina kaum eine Alternative.

Die Einrichtung des Tribunals ist die direkte Folge eines 2010 vom damaligen Sonderberichterstatter des Europarats, Dick Marty, veröffentlichten dramatischen Berichts. Darin beschreibt der Schweizer Marty die Verwicklung der Führungsriege der UCK in mafiöse Verbrechen. Auch Hacim Thaci, von 2008 bis 2014 erster Ministerpräsident der Republik Kosovo wird darin frontal angegriffen. Er soll Kopf einer Mafia ähnlichen Gruppierung innerhalb der Kosovo-Befreiungsarmee UCK gewesen sein.

qu/se (dpa, afpe, rtre, APE)