Kontroverse um Impfstoff-Erfinder Stöcker
10. März 2021Das private deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel verschaffte dem Lübecker Arzt und Unternehmer Winfried Stöcker Anfang März 2021 eine recht große Öffentlichkeit: Ein Artikel und ein Fernsehbeitrag erzählendie Geschichte eines genialen Erfinders, der eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus in seinem privaten Labor entwickelt und damit schon etwa 100 Freiwillige geimpft hat.
Die Impfung hätte keine Nebenwirkungen gezeigt, dafür aber bei den Geimpften eine durch serologische Tests nachweisbare, sehr hohe Wirksamkeit von 97 Prozent. Der Impfstoff sei leicht in großen Mengen herstellbar und es sei damit möglich, in kürzester Zeit alle Menschen in Deutschland zu impfen. Doch statt der gebotenen Unterstützung durch Zulassungsbehörden habe Stöcker nur eine Strafanzeige bekommen, weil die Zulassungsbehörden ihn ausbremsen - so der Tenor des Spiegel-Berichts.
Ist Stöcker also ein verkannter genialer Erfinder, dessen Arbeit die unflexiblen Behörden behindern, oder ein verantwortungsloser Dr. Frankenstein?
In Fachkreisen hat das Vorgehen des Arztes jedenfalls Empörung ausgelöst. Stöcker habe unzählige vorgeschriebene Schritte zum Schutz der Patientensicherheit einfach übersprungen.
Hier die wichtigsten Punkte zu der sogenannten "Lübeck-Impfung".
Warum hätte der Arzt die Impfung Freiwilligen nicht verabreichen dürfen?
Der Medizinprofessor und Unternehmer Stöcker hat keine Informationen zu Genehmigung, Studienprotokoll und präklinischer Absicherung dargelegt. Offenbar hat er den Impfstoff also direkt aus dem Labor am Menschen eingesetzt.
Die Zulassung von Medikamenten, zu denen auch Impfstoffe gehören, ist aber ein komplizierter und aufwendiger Prozess. Er beinhaltet nach den Laborversuchen an Zellkulturen auch toxikologische Tests im Tierversuch. Um solche überhaupt durchführen zu dürfen, müssen Medikamentenhersteller umfassende Bedingungen erfüllen und zudemaufwendige Genehmigungsverfahren durchlaufen.
Gleiches gilt für den nächsten Schritt hin zu den ersten klinischen Versuchen am Menschen in Phase I, der sich dann die weiteren Phasen der Medikamentenentwicklung anschließen. Voraussetzung für jede einzelne klinische Studie ist zudem eine Genehmigung der zuständigen Zulassungsbehörde. In Deutschland ist das das Paul-Ehrlich-Institut (PEI).
Das PEI meldete die Verabreichung eines Antigen-Serums in Eigenregie wiederum dem Landesamt für soziale Dienste in Kiel, welches nun Strafanzeige erstattete. "Es bestehe Verdacht strafbaren Handelns“, da eine Studie mit "experimentellen Arzneimitteln“ stattgefunden habe, ohne dass diese zuvor geprüft wurde, heißt es in der Anzeige.
Als wissenschaftliches Grundprinzip gilt, dass diejenigen, die selbst Medikamente herstellen oder auch ihre Beschäftigten, von der Teilnahme an Versuchsreihen als Probanden ausgeschlossen sind. So wird die mögliche Befangenheit von Probanden ausgeschlossen und die Objektivität der Studien gewährleistet.
Das ist auch einer der Gründe, weshalb selbst die Erfinder des BioNTech/Pfizer-Impfstoffes diesen bisher selber nicht erhalten haben, wie CEO Ugur Sahin Ende 2020 gegenüber der DW sagte. Stöcker hingegen brüstet sich damit, den Impfstoff seiner Familie und seinen Beschäftigten gespritzt zu haben.
Als Arzt ein nicht zugelassenes Medikament zu verabreichen, kann einerseits als Körperverletzung geahndet werden, andererseits stellt es einen Verstoß gegen die ärztlichen Sorgfaltspflichten dar. Insofern muss Stöcker möglicherweise auch mit Sanktionen seitens der Ärztekammer rechnen.
Um was für einen Impfstoff handelt es sich?
Nach Angaben von Stöcker basiert sein Impfstoff auf einem "rekombinanten Antigen, das man leicht und billig in der Retorte herstellen kann." Es sei vergleichbar mit den vorhandenen Impfstoffen gegen Hepatitis A und B. Da das Antigen, anders als etwa bei mRNA oder Vektor-Impfstoffen bereits außerhalb des Körpers, nämlich im Labor, vervielfältigt werde, brauche man "keine Angst vor einer unkontrollierten Ausbreitung in den menschlichen Organismus eingeschleuster genetischer Information zu haben", so Stöcker.
In der Tat sind derartige sogenannte Untereinheitenimpfstoffe bereits seit langem bekannt und werden zum Beispiel auch gegen Grippe oder Humane Papillomviren (HPV) eingesetzt.
Das Vakzin von Stöcker ist dabei auch als Corona-Impfstoff gar nicht so einzigartig, wie der Spiegel-Bericht suggeriert. So basiert einer der in der Entwicklung weit fortgeschrittenen Impfstoffe ebenfalls auf diesem Prinzip, nämlich NVX-CoV2373 von Novavax.
Dieser Impfstoff befindet sich bereits im Zulassungsverfahren der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA).
Welche Gefahren drohen den Probanden?
Die Österreichische Veterinärmedizinerin Petra Falb führt in einem Blogbeitrag eine ganze Reihe von Punkten auf, zu denen Stöcker keine Angaben macht, die aber für die Sicherheit und vor allem für die Gesundheit seiner Probanden relevant sind.
So betont Falb etwa, dass Stöcker sich nicht zur Frage der möglichen Kontamination seines Impfstoffes mit Fremdviren oder Mykoplasmen – also sehr kleiner Bakterien - äußert.
Die Kontrolle möglicher Kontaminationen sei aber "ein heikler Punkt in der Impfstoffentwicklung", weil die Antigene in dem Impfstoff im Labor durch ein Expressionssystem (meist einem Virus) auf einer Zelllinie produziert werden und dabei auch Materialen tierischen Ursprungs zum Einsatz kommen. Sollten gar Retroviren in der Zellinie enthalten sein, bestehe die Gefahr, dass der Impfstoff später einmal Krebs auslösen könnte.
Auch seien die Informationen zu möglichen Zusatzstoffen, sogenannten Adjuvantien, in Stöckers Bericht "völlig ungenügend".
Wie wirksam ist der Wirkstoff wirklich?
Seine Behauptung, dass der Impfstoff eine Wirksamkeit von 97 Prozent erreiche, kann Stöcker nicht belegen. In der Tat gibt es zu seinem Impfstoff bisher keine einzige veröffentlichte Studie in einem angesehenen Fachjournal.
Bisher hat er lediglich serologische Tests durchgeführt, laut denen bei seinen Probanden Antikörper gegen SARS-CoV-2 gebildet worden seien.
Im Rahmen einer Impfstoffzulassung werden aber auch noch zahlreiche weitere Aspekte berücksichtigt, wie etwa die Immunantwort der T-Zellen aussieht.
Auch die tatsächliche Wirksamkeit - also die Frage, wie viele der geimpften Personen sich im Vergleich zu einer Placebo-Gruppe mit dem Virus in einem bestimmten Zeitraum nach der Impfung angesteckt haben, ist ausschlaggebend für eine Zulassung.
Üblicherweise wird das zum Abschluss der Phase III in der Impfstoffentwicklung bewertet. Doch hat Stöcker offenbar nicht einmal den ersten Schritt in einer langen Reihe von notwendigen Schritten unternommen.
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