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Konferenz "Abschaffung der Todesstrafe: pro und contra" in Almaty

1. Oktober 2002

– Kasachischer Menschenrechtler: Jährlich werden in Kasachstan 20 bis 30 Todesurteile vollstreckt

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Köln, 30.9.2002, DW-radio / Russisch

Am 30. September hat in Almaty die internationale Konferenz "Abschaffung der Todesstrafe: pro und contra" ihre Arbeit aufgenommen. Organisiert wird die Konferenz vom kasachischen Justizministerium, dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, der OSZE-Vertretung in Almaty, dem kasachischen Büro für Menschenrechte und Einhaltung der Gesetze sowie der Vertretung von Penal Reform International. Aus der größten Stadt des Südens Kasachstans berichtet unsere Korrespondentin Jewegenija Wyschemirskaja:

Auf der Konferenz werden Fragen der Strafprozessordung, die Gewährleistung gerechter Gerichtsverfahren, die Haftbedingungen und die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Integration für aus dem Strafvollzug entlassene Personen erörtert. An der Konferenz nehmen Vertreter der Präsidentenadministration, der Regierung, des Parlaments, des Obersten Gerichts, der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums der Republik, aber auch internationale Experten und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen teil. Die Konferenz wird nach Ansicht der Veranstalter ermöglichen, bei der Entscheidung über die Abschaffung der Todesstrafe die Empfehlungen der Teilnehmer einzubeziehen.

Im März 2002 hatte der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew die Regierung beauftragt, die Aussetzung der Todesstrafe bis hin zu einer vollständigen Abschaffung zu prüfen. Derzeit wird in Kasachstan die Höchststrafe nicht gegen Frauen und Personen, die zum Zeitpunkt der Straftat jünger als 18 Jahre waren, aber auch nicht gegen Männer, die zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung bereits 65 Jahre alt sind, verhängt.

Nach Angaben von Vizepremier Baurschan Muhamedschanow ist in 108 Staaten die Todesstrafe abgeschafft und in 87 Staaten wird sie als Höchststrafe verhängt. In Kasachstan ist die Höchststrafe bei 17 besonders schweren Verbrechen vorgesehen. Früher befanden sich auf der Liste 34 Punkte. In erster Linie wird die Höchststrafe bei vorsätzlicher Tötung von zwei oder mehr Menschen und bei militärischen Straftaten verhängt. Nach Angaben des Leiters der OSZE-Vertretung in Almaty, Istvan Wenzel, haben von den 55 OSZE-Mitgliedsstaaten 40 die Todesstrafe abgeschafft. Kasachstan gehört bislang nicht zu diesen Staaten. Übrigens sind dreiviertel der Kasachen überzeugte Befürworter der Todesstrafe.

Der Leiter des Kasachischen Büros für Menschenrechte, Jewegnij Schowtis, äußerte im Gespräch mit der Korrespondentin der Deutschen Welle jedoch die Überzeugung, dass die Abschaffung der Todesstrafe in Kasachstan nur eine Frage der Zeit ist:

Jewegenij Schowtis:

Das Interesse für das Problem und die Ebene, auf der es erörtert wird, ist sehr hoch. Die Vorträge der Experten und der Vertreter der Machtorgane unterscheiden sich grundlegend. In jeder Rede wurde jedoch der Gedanke deutlich, dass früher oder später die Todesstrafe in Kasachstan vollständig abgeschafft wird.

Frage:

Oft lehnen es Staaten ab, die Todesstrafe zu vollstrecken, und das trotz der Tatsache, dass aus verschiedenen Gründen die Todesstrafe in ihren Strafgesetzbüchern enthalten ist und dass die Todesstrafe offiziell nicht ausgesetzt ist. Ist die Situation in Kasachstan anders?

Jewgenij Schowtis:

Leider ja. Das einzig Positive ist, dass in jüngster Zeit die Anzahl solcher Strafen deutlich zurückgegangen ist. Anfang der 90er Jahre gehörte Kasachstan zu den fünf Ländern, in denen die meisten Todesstrafen vollstreckt wurden, damals waren es 50 bis 70 Personen jährlich. Aber auch heute werden Urteile vollstreckt, aber ihre Anzahl ist auf 20 bis 30 zurückgegangen.

Die Probleme des kasachischen Strafsystems beschränken sich keineswegs auf die Verkündung und Vollstreckung von Todesurteilen. Oft greifen Inhaftierte im Strafvollzug zu äußersten Mitteln, um eine Verbesserung ihrer Haftbedingungen zu erreichen. Der jüngste Zwischenfall ereignete sich einen Tag vor der Ausstrahlung unserer Sendung. Jewgenija Wyschemirskaja berichtet:

In der Kolonie 168/5, die sich in der Stadt Schem im Bezirk Mugolschar des Gebiets Aktjubinsk befindet, haben sich die Häftlinge in der Nacht zum 30. September ihre Bäuche aufgeschnitten. Der Leiter der für den Strafvollzug zuständigen Gebietsabteilung, Turar Ispusinow, erklärte, die Häftlinge hätten eine Lockerung der Bedingungen und die Möglichkeit gefordert, sich auf dem Gebiet der Kolonie frei zu bewegen. Übrigens sagte Turar Ispusinow, dass die Haftbedingungen in diesem Gefängnis die besten im ganzen Gebiet seien. Es gebe ständig warmes und kaltes Wasser, eine gute Lebensmittelversorgung und eine eigene Heizung. Nach Angaben von Turar Ispusinow fühlen sich die Häftlinge, die sich die Bäuche aufgeschnitten hatten, normal, da "deren Wunden nicht tief sind". Aber nach den Worten von Samat Danijarow, dem stellvertretenden Leiter der für den Gesundheitsschutz zuständigen Gebietsabteilung, befinden sich einige Personen in kritischem Zustand. Derzeit prüfen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft im Gebiet die Lage vor Ort. Über die Einleitung eines Strafverfahrens ist derzeit noch nicht entschieden. Dies ist bereits die vierte Protestaktion, zu der es in diesem Jahr in Kolonien des Gebiets Aktjubinsk gekommen ist.

Die Weise, wie die Häftlinge gegen die Haftbedingungen protestieren, zeigt, dass sie manchmal bereit sind, selbst die Todesstrafe gegen sich zu vollstrecken. (MO)