1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Zu dritt statt als Tandem

6. November 2019

Die Polen-Korrespondentin der DW, Magdalena Gwozdz-Pallokat, dachte, das Gerede von "neuen Mauern" in Europa sei übertrieben. Doch sie gesteht ein: "Ich habe mich getäuscht".

https://p.dw.com/p/3RWYg
stratford upon avon warwickshire england
Bild: david hughes - stock.adobe.com

Ich dachte, zu diesem Thema sei alles gesagt. 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer. Seit einem Vierteljahrhundert ist die EU für die meisten Europäer ein Zuhause. Klar, es gibt Meinungsverschiedenheiten, Konflikte, den Brexit. Aber von "neuen Mauern" zu reden schien mir übertrieben.

Ich habe mich getäuscht. Schlagzeilen beim staatlichen Sender TVP in Polen, dem medialen Einpeitscher der PiS-Regierung, lassen keine Zweifel: "Deutschland und Frankreich wollen die EU in einen Superstaat verwandeln, in dem Berlin und Paris dominieren." Zwei Staaten gegen den Rest der EU-Welt also? Ist das nur eine Randmeinung oder spiegelt sie wider, was viele Polen denken?

Umfragen zeigen, dass die Polen EU-Enthusiasten sind. Bis zu 91 Prozent bejahen demnach die Union. Doch wie passt das zusammen mit der in der Sache oft EU-skeptischen Haltung, die vor allem im Ausland registriert wird? Oft werde ich von deutschen Kollegen gebeten, ihnen das zu erklären. Sie wollen wissen, was los ist mit den Polen, was sie von der EU erwarten und wie sie die Rolle Deutschlands in der Gemeinschaft sehen. 

Aus einer anderen Welt

Magdą Gwóźdź (Magda Gwozdz), Polnisch-Redaktion
Magda Gwozdz-PallokatBild: privat

Meine Generation, Anfang der 1980er-Jahre geboren, erinnert sich noch an ein Europa der Grenzen. Die Reise mit dem Auto von meiner Heimatstadt in Oberschlesien nach Berlin zog sich – wenn der Zoll das Auto durchwühlte – bis zu zehn Stunden hin, heute sind es fünf. In Berlin angekommen, sah ich in meinen unten zu breiten Jeans irgendwie anders aus als die Kinder in Zehlendorf. Ich war ein Unikum für sie, so interessant, dass sie alle meine Hand halten wollten.

2004 trat Polen der EU bei. Es rückten zwei Welten zusammen. Man glaubte, fortan könne uns nichts mehr auseinander dividieren. Die Polen fühlten sich zwar nicht immer genügend einbezogen, aber doch spürte man einen Stolz darauf, dabei zu sein. Die EU-Gelder waren und sind eine enorme Unterstützung für das Land, und die Rolle Deutschlands in der EU schien klar: Der westliche Nachbar war, allen Verwicklungen und schrecklichen Geschichtserfahrungen zum Trotz, eine Art Garant für den Zusammenhalt.

Für ihn habe sich daran nicht viel verändert, sagt Aleksander Kwaśniewski, Polens Ex-Präsident, der das Land in EU und NATO führte. Im Gespräch mit der DW betont er, Deutschlands Rolle sollte bei der europäischen Integration führend bleiben. Ein Gegenpol zu PiS-Politikern, die die Rolle Deutschlands als zu dominant sehen.

Deutschland Die Berliner Mauer 30 Jahre danach | Auge in Auge mit der Berliner Mauer
Reste der Berliner MauerBild: DW/H. Rawlinson

Alte Ideen – neue Mauern

Kritik gibt es seitens der Regierung auch am Tandem Deutschland-Frankreich. Warschau sieht sich abgehängt und versucht Gegengewichte zu etablieren – setzt auf die Visegrad-Gruppe, die Kooperation mit Tschechien, der Slowakei und Ungarn, oder auf das Intermarium-Forum, ein Bündnis der Staaten, die zwischen Russland und Deutschland liegen, eine Idee, die aus der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg stammt. Insgesamt wünsche sich Polen derzeit etwas weniger statt mehr Europa, sagt Andrzej Kaluza vom Deutschen Polen-Institut. In Warschau sei man der Meinung, mehr Europa würde die Menschen überfordern, Europa wirke nicht nur abstrakt und bürokratisch, sondern auch im Auftritt oft rechthaberisch gegenüber denen, die anderer Meinung seien als "West-Eliten".

Außenpolitisch neue Optionen

Was also tun, um die "neuen Mauern"“ in Europa wieder einzureißen? Ich erfahre immer deutlicher, wie viel Halbwissen, Unwissen und auch gern geglaubte Lügen übereinander kursieren. International präsente Medien wie die DW leisten hier schon viel Aufklärungsarbeit. Wieso schaffen wir keinen deutsch-französisch-polnischen Rundfunk, eine Art Arte+? Dieser könnte eine gemeinsame Öffentlichkeit schaffen und – wenn es sein muss – unterschiedliche Standpunkte gegenüberstellen.

Warum schaffen wir angesichts vieler bilateraler Streitfragen nicht ein Dreierformat, das den Ausgleich vermittelt: mit der jeweils unbeteiligten Seite als Schlichter? Beispiele: Polen und Frankreich streiten über die Dienstleistungsfreiheit – Deutschland wird Schlichter. Deutschland und Polen streiten über Nord Stream – Frankreich findet einen Kompromiss.

Viel wird debattiert über "Werte", die "Europa" zugrunde liegen – aber in jedem Land auf andere Weise. Wieso schaffen wir nicht zunächst im Rahmen des Weimarer Dreiecks Klarheit über gemeinsame Nenner, statt weiter um das zu kreisen, was trennt? Sprachbarrieren sind noch immer hinderlich. Dreisprachige Schulen wären ein Ansatz.

Denkbar wäre auch die Bündelung unterschiedlicher diplomatischer Traditionen. Denn, wie in der Wochenzeitung "Die Zeit" zu lesen war: "Es ist Europas große Stärke, dass es diplomatisch mit mehreren Stimmen sprechen kann. Deutschland pflegt einen guten Draht nach Teheran, Frankreich nach Riad. Wenn sie diese Kanäle parallel und abgestimmt nutzen, ist ihr Einfluss um ein Vielfaches größer als allein." Auch Polen kann hier etwas beisteuern, hat traditionell etwa einen starken Draht zu den Palästinensern, auch besondere Beziehungen mit Israel. Selbst mit Donald Trump ergeben sich über Warschau womöglich neue Optionen.

Magdalena Gwozdz-Pallokat berichtet als Freie Journalistin für die DW aus Warschau. Sie studierte Germanistik, Publizistik und Medienforschung in Breslau und Zürich und war Stipendiatin der Robert-Bosch-Stiftung, des Goethe-Instituts und der Marion-Dönhoff-Stiftung. Von 2009 bis 2016 arbeitete sie als Moderatorin und Reporterin beim polnischen staatlichen Sender TVP.