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Proteste in Bosnien

Benjamin Pargan13. Februar 2014

Nationalisten versuchen, die sozialen Proteste in Bosnien und Herzegowina für ihren Machterhalt auszunutzen, indem sie die ethnischen Spannungen anheizen, meint Benjamin Pargan. Das Land brauche jetzt Hilfe von außen.

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Benjamin Pargan (Foto: DW/Peer Henriksen)
Benjamin Pargan, Leiter des Bosnischen ProgrammsBild: DW/P. Henriksen

Korrupte und unfähige Politiker, Massenarbeitslosigkeit, Armut, Misswirtschaft, politischer Stillstand. Parteien, die den Staat und seine Bürger schamlos ausnehmen. Ein aufgeblähter und ineffizienter Verwaltungsapparat, Nepotismus in seiner hässlichsten Form. Dazu Perspektivlosigkeit, Wut und unfassbare Frustration der Bürger. Seit fast zwanzig Jahren sind dies die Stichworte, die die Lage in Bosnien-Herzegowina so grob wie treffend beschreiben. Trotzdem hat die Bevölkerung des kleinen Balkan-Landes bei den Wahlen immer wieder dieselben Parteien in Amt und Würden gehievt. Diese Wahlen verliefen sogar - dank der tatkräftigen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft - demokratisch und organisatorisch fast einwandfrei.

Teile und herrsche

Die korrupten Politiker, gegen die seit Tagen demonstriert wird, sind also in der Tat demokratisch gewählt. Fehlende demokratische Kultur, Naivität, gar die klassische politische Torheit der Bürger von Bosnien-Herzegowina sind nur bedingt als plausible Erklärung für diese absurde Situation geeignet. Denn die nationalistisch gesinnten Politiker aus allen Volksgruppen des Landes haben seit dem Ende des Krieges eine Wunderwaffe und ein bewährtes Mittel in der Hand, um aus Wählerinnen und Wählern mit wenig Aufwand dummes Stimmvieh zu machen: die sogenannte ethnische Karte.

Sie schüren gezielt Ängste und Vorurteile anderen ethnischen Gruppen gegenüber. Dabei wird die eigene Volksgruppe immer als marginalisiert, in der Existenz bedroht und als Opfer in jeglichem Sinne dargestellt. Die eigene Partei wird dann mit eifriger Unterstützung der ebenfalls ethnopolitisch agierenden Medien als Retter der Nation, als Garant des politischen Überlebens und der einzig wahre Kämpfer für die nationalen Interessen dargestellt. Und so, im Eifer des Gefechts ums angebliche politische Überleben der eigenen Ethnie, vergisst der bosnisch-herzegowinische Wähler nachzudenken, warum es ihm wirtschaftlich so schlecht geht. Er kommt auch nicht dazu, nach Korruption und sozialer Ungerechtigkeit zu fragen. Wie könnte er auch, wenn es um so wichtige Sachen von nationalem Interesse geht!? Und die Parteien tun alles, damit es so bleibt. Eine ethnisch aufgeteilte Bevölkerung lässt sich doch viel einfacher unter Kontrolle halten.

Proteste in Sarajevo (Copyright: dpa)
Proteste in SarajevoBild: dpa

Nationalistische Gegenoffensive

Die heftigen sozialen Unruhen der vergangenen Tage durchbrachen diese unredliche Logik der Nationalisten. Das Elend und die miserable wirtschaftliche Lage beachten wohl nicht die ethnische Zugehörigkeit, es wird nun in Bosnien-Herzegowina über ethnische Grenzen hinweg protestiert. Diese Tatsache beunruhigt die regierenden ethnonationalen Parteien der Bosniaken, Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina. Deshalb greifen sie wieder zu den altbewährten Waffen und ziehen wie selbstverständlich ihre Karte: die ethnische. Milorad Dodik, der Präsident der Republik Srpska, der serbisch dominierten Landeshälfte, stellt dabei noch einmal seine Dreistigkeit eindrucksvoll unter Beweis. Er tut so, als wäre die wirtschaftliche Lage seiner "Entität" viel besser, und er versucht, den Protesten mit aller Kraft den ethnischen Stempel aufzudrücken. Sie seien nur ein Beweis, dass Bosnien-Herzegowina als Staat nicht funktionieren könne, und er werde keine Versuche dulden, die Republik Srpska zu destabilisieren.

Diese Masche hat immer funktioniert. Von den skandalösen Korruptionsfällen in den eigenen Reihen und der miserablen wirtschaftlichen Situation in der Republik Srpska lenken Dodik und seine mediale Artillerie mit der Hetze gegen den Gesamtstaat ab. Politische Gegner und potentielle Demonstranten werden im Voraus als Nestbeschmutzer, Verräter und pauschale Gegner der serbischen Autonomie in Bosnien-Herzegowina diffamiert. Dabei verdienen seine Untertanen durchschnittlich noch weniger als ihre Leidensgenossen in der bosniakisch-kroatischen Föderation, Korruption und Armut sind in der Serbenrepublik sogar noch weiter verbreitet.

Internationale Gemeinschaft ist gefragt

Ähnlich reagierten die Funktionäre der regierenden nationalistischen Parteien der bosnischen Kroaten. Sie bemühen sich seit Tagen, die Proteste ethnisch aufzuteilen und zu beweisen, dass die Protestwelle von den Bosniaken, also den in Bosnien und Herzegowina lebenden Muslimen, instrumentalisiert würde, um die Rechte der Kroaten zu beschneiden. Die bis ins Knochenmark korrupte Elite der bosniakischen Nationalisten verunglimpft ihrerseits die Demonstranten als vermummte Hooligans und Plünderer. Die wahren Gründe für die Wut der Bürger werden auch von ihnen gerne beiseite geschoben.

Leider sind die Bürger Bosnien-Herzegowinas auch fast 20 Jahre nach dem Ende des Krieges nicht immun gegen solche nationalistisch-populistischen Hetzkampagnen. Deshalb steht die Hoffnung auf einen bosnischen Frühling auf wackeligen Beinen. Für eine Revolution der mündigen Bürger sind die Rahmenbedingungen äußerst ungünstig. Dem kleinen Land in Südosteuropa wurde - um den blutigen Krieg zu beenden - mit dem Friedensabkommen aus Dayton eine Zwangsjacke angelegt, die jegliche Entwicklung einer demokratischen Bürgergesellschaft fast unmöglich macht. Nur eine umfassende Verfassungsreform und eine baldige Ablösung des Dayton-Abkommens würden einen bosnischen Frühling möglich machen. Eben diese Entwicklung wollen die nationalistischen Machthaber aber mit aller Kraft verhindern. Und dies wird ihnen, ohne aktives Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, wieder einmal gelingen.