Kommentar: Taktische Ordnung versus "Fußball mit Herz"
10. Juli 2006Das war's nun also, die vierwöchige Fußball-Party ist zu Ende. Was hängen bleibt, ist natürlich zuallererst die enorme Begeisterung der Menschen in den Stadien und auf den Fanmeilen, die reibungslose Organisation und der mit Leben erfüllte Slogan dieser WM "Die Welt zu Gast bei Freunden".
Und sportlich? Gab es neue, wegweisende Entwicklungen, Stars, die dieser WM den Stempel aufgedrückt haben und fußballerische Highlights en masse? Antwort: Fehlanzeige. Betrachtet man lediglich das Geschehen auf dem Spielfeld, so kommt der geneigte Fußballkenner zu einem durchwachsenen Ergebnis.
Magere Torausbeute
Klar, da waren mitreißende Partien, wie der 2:1-Vorrundenerfolg Argentiniens über die Elfenbeinküste, das überraschende und fußballerisch begeisternde 2:0 der ghanaischen Mannschaft gegen Tschechien und natürlich das spannungsgeladene und für viele vorweg genommene Endspiel Deutschland-Argentinien im Viertelfinale, das die Klinsmann-Elf souverän im Elfmeterschießen für sich entschied.
Und ja, es gab auch Kantersiege. Gleich sechs Tore mussten die chancenlosen Serben gegen die starken Argentinier hinnehmen, bei zwei weiteren Spielen stand am Ende ein 4:0 zu Buche, und gleich in der Eröffnungspartie dieser Weltmeisterschaft legte die Klinsmann-Elf mit einem 4:2-Erfolg über Costa Rica die Tor-Messlatte hoch an.
Doch unter dem Strich brachten die Teams nur magere 147 Tore zu Stande. Mit im Schnitt 2,29 Treffern pro Spiel die zweittorärmste Endrunde in der 76-jährigen WM-Geschichte. Nur bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien war die Ausbeute noch kläglicher (2,21).
Erfreulich in diesem Zusammenhang aus deutscher Sicht: Klose & Co erzielten in ihren sieben Spielen immerhin 14 Treffer und damit die meisten Tore aller 32 WM-Teilnehmer. Das mutige, nach vorne orientierte Spiel der deutschen Mannschaft wurde denn auch mit Platz drei belohnt.
Taktische Zwänge
Woran also lag die Torflaute bei diesem Turnier? Schlechte Stürmer? Keineswegs, die Angreifer und Offensivspieler hatten schlichtweg unter taktischen Zwängen zu leiden. Oft wurde nur mit einem Stürmer agiert, der es naturgemäß schwer hatte, sich gegen kompakte Abwehrreihen durchzusetzen. Überhaupt war in den meisten Spielen Defensive Trumpf. So kamen einem manche Begegnungen fast wie eine Schachpartie vor.
Ein Kennzeichen dieser Fußball-WM ist die zunehmend hohe Qualität der Defensiv-Leistungen. Viele Mannschaften gingen taktisch hervorragend geschult, gepaart mit hoher Disziplin zu Werke. Auf der Strecke blieb dabei temporeicher und brillanter Fußball. Die taktische Ordnung stand meist über dem "Fußball mit Herz". Schade für die Fans.
Die unauffälligen Stars
Und was war mit den Stars, den Ronaldinhos und Paul Lampards? Diese fielen, gelinde gesagt, nicht weiter auf. Speziell das brasilianische Team, das gespickt mit Topstars des internationalen Fußballs angetreten war, seinen Weltmeister-Titel zu verteidigen, war eben genau das nicht: eine Mannschaft. Der amtierende Weltfußballer des Jahres Ronaldinho ging genauso unter wie viele andere Topstars, die glaubten, alleine ihr Status würde ausreichen, um die Spiele quasi im Vorbeigehen gewinnen zu können.
Es waren nicht die Einzelkönner, die glänzten, sondern das Kollektiv, das den Unterschied machte. Kein Zufall, dass sich die vier Halbfinalisten vor allem durch ihren internen Zusammenhalt auszeichneten. Diese Teams waren es, die dieser WM den Stempel aufgedrückt haben. Insofern ist mit Italien konsequenterweise eine Mannschaft Weltmeister geworden, die diese mannschaftliche Geschlossenheit und taktische Disziplin auf dem Platz am besten umgesetzt hat.