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Politik

Süßes Gift

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
6. Oktober 2016

Afghanistan hängt von ausländischen Spenden ab. Der Westen und seine Verbündeten fühlen sich in der Pflicht. Die Rettungsspirale für das Land dreht sich weiter. Die Geberkonferenz in Brüssel kommentiert Bernd Riegert.

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Afghanistan Mohnernte in Nangarhar
Exportschlager: Schlafmohn aus Afghanistan Bild: DW/O. Deedar

Als vor genau 15 Jahren der Einsatz der US-Streitkräfte gegen Al-Kaida-Terroristen und das Taliban-Regime in Afghanistan begann, hat sich wohl niemand ausmalen können, wie diese Aktion einmal ausgehen würde. Das Ziel war damals, nach den Anschlägen vom 11. September 2001, die Terroristen zu stellen und ihnen ihren Unterschlupf, ihre Basis zu nehmen. Heute, 15 Jahre später, ist dieses Ziel nur unvollständig erreicht. Noch immer werden Teile Afghanistans von Taliban beherrscht. Eine neue Terrorgruppe, der "Islamische Staat", hat am Hindukusch Fuß gefasst, und vom Nachbarland Pakistan aus operieren immer noch Terroristen in Afghanistan.

Die Weltgemeinschaft hatte erkannt, dass die Terrorgefahr nur gebannt werden kann, wenn gleichzeitig mit dem Kampf gegen die Milizen auch der Staat Afghanistan so organisiert wird, dass die Menschen dort eine Perspektive haben. Es folgten eine gewaltige internationale Militäraktion und ein beispiellos teures Aufbauprogramm. Über 113 Milliarden US-Dollar wurden in Staatsaufbau, Sicherheitskräfte und humanitäre Hilfe investiert. Von einem funktionierenden Staat im Sinne der Geldgeber ist Afghanistan immer noch weit entfernt. Die Sicherheitslage ist prekär, die wirtschaftliche Entwicklung schwach. Das gestand auch der afghanische Präsident Ghani unumwunden ein, aber er sieht Hoffnungszeichen, Aufbruch. Viel anderes bleibt dem ehemaligen Weltbank-Manager, der einer zerstrittenen Regierungskoalition vorsteht, auch nicht übrig. Immerhin sehen einige Hilfsorganisationen leichte Fortschritte in einzelnen Bereichen.

Wie lange fließen die Milliarden noch?

Riegert Bernd Kommentarbild App
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Die fünfte große Afghanistan-Geberkonferenz in Brüssel konnte nur feststellen, dass man so weitermachen will und muss wie bisher: Geld geben, Hilfe anbieten, Korruption eindämmen, Armee und Polizei ausbilden und das Beste hoffen. Die Geber-Staaten, allen voran die USA und die Europäische Union, sind weiter bereit, Milliarden nach Kabul zu pumpen, um den Staat Afghanistan mehr schlecht als recht am Laufen zu halten. Immer weniger Minister tun das aus Überzeugung und mit Zuversicht, dass sich das Blatt irgendwann einmal wendet, sondern vielmehr, weil ihnen die Alternative fehlt. Würde man Afghanistan fallenlassen, wäre es im Handumdrehen wieder die Weltzentrale der Terroristen-Ausbildung. Das Land, das seit 40 Jahren einen Konflikt nach dem anderen erlebt hat, würde wieder in einen Bürgerkrieg und in mittelalterliche Zustände absinken.

Also hat man in Brüssel die Devise ausgegeben: Augen zu und durch. Genauso wie zuvor in Tokio, London oder Berlin bei vorangegangenen Treffen. Dass die EU und andere Staaten ihre Hilfen mehr und mehr an gute Regierungsführung und eine Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern knüpfen wollen, ist verständlich. Nach 15 Jahren will man mehr Rendite und Ergebnisse für das investierte Geld sehen. 15 Jahre haben gelehrt, dass man in Afghanistan von Politikern und Clan-Führern nur etwas erreicht, wenn man auch Druck ausübt. Wie lange die Steuerzahler in den westlichen Ländern dieses scheinbare Fass ohne Boden noch füllen wollen, ist ungewiss. Kann man den Wählern zum Beispiel in den USA noch vermitteln, dass - verkürzt gesagt - mit Hilfsmilliarden ein Staat finanziert wird, dessen Exportschlager Grundstoffe für illegale Drogen sind? Und dass am Drogenhandel die Terrorgruppen mitverdienen?

Fortsetzung folgt

Die Probleme, vor denen Afghanistan steht, sind auch in den nächsten Jahren gewaltig. Drei Millionen Flüchtlinge aus Pakistan und eine Million aus dem Iran werden nach Afghanistan zurückkehren müssen. Das Heer der Arbeits- und Perspektivlosen wird noch anwachsen. Die Konferenz von Brüssel war deshalb nicht die letzte Geberkonferenz für das geschundene Land. Auch 2020, 2024 und vielleicht darüber hinaus wird es Afghanistan-Konferenzen geben müssen.

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Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union