Riskantes Atalanta-Mandat
10. Mai 2012Atalanta heißt die kämpferische Dame aus der griechischen Sagenwelt, in deren Namen die EU seit Ende 2008 in den Küstengewässern vor Somalia Jagd auf Piraten macht. Mit einigem Erfolg. Die Zahl der gekaperten Schiffe ist im Westen des Indischen Ozeans inzwischen zurückgegangen. Dennoch betreiben die Hintermänner der Piraten weiterhin ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Ihre Operationsbasis ist nach wie vor der zerfallene Staat Somalia, von dessen Territorium sie ihre erfolgreichen Beutezüge nun mit Vorliebe in anderen Bereichen des großen Indischen Ozeans durchführen. Das soll sich mit der beschlossenen Mandatserweiterung ändern. Künftig sollen die Operationsbasen der Piraten an Land zerstört werden. Dabei gelten allerdings zwei wichtige Einschränkungen: Angegriffen werden darf nur am Strand, in maximal 2000 Metern Entfernung von der Küste. Und: nur aus der Luft.
Bodenkämpfe nicht auszuschließen
Bodeneinsätze bleiben grundsätzlich verboten. Dennoch steigen die Gefahren, was für zahlreiche Abgeordnete der Opposition Grund genug war, um dem neuen Mandat ihre Zustimmung zu verweigern. Ihre Bedenken wiegen schwer, denn mit dem neuen Mandat wachsen die Gefahren für Leib und Leben der Soldaten. Hubschrauber und Aufklärungsflugzeuge können von Land aus mit Panzerfäusten abgeschossen werden und die gibt es im bürgerkriegsgeplagten Somalia zuhauf. Auch aus technischen Gründen ist im Sandsturm schon mancher Hubschrauber abgestürzt. Dass dann Spezialeinsatzkräfte die in Not geratenen Kameraden bergen müssten, steht außer Frage. Bundeswehrsoldaten könnten so in Bodenkämpfe verwickelt werden und Erinnerungen an 'Black Hawk Down', den Film über die 1993 in der somalischen Hauptstadt Mogadischu abgeschossene Besatzung eines US-Kampfhubschraubers, werden plötzlich wieder wach. Szenarien, die nicht eintreten müssen, aber sehr wohl können.
Fraglicher Nutzen
Den gewachsenen Risiken des Einsatzes steht möglicherweise ein äußerst geringer Nutzwert gegenüber. Schon in der Vergangenheit haben die Piraten ihre schnelle Lernfähigkeit unter Beweis gestellt. Als die militärischen Kontrollen der Küstengewässer verschärft wurden, haben die Freibeuter ihren Aktionsradius erweitert. Drohen ihnen nun auch Militäraktionen in einer schmalen Landzone im unmittelbaren Uferbereich, könnten sie mit ihren Nachschubbasen wohl ohne größere Mühen ins Hinterland ausweichen. Die Logistik der Piraten hat sich schon in der Vergangenheit als äußerst flexibel erwiesen.
Menschliche Schutzschilde
Eine weitere Gefahr, die gegen die Mandatsausweitung spricht: Menschen könnten von den Piraten im Uferbereich als Schutzschilde missbraucht werden. Auch dann wären den Soldaten die Hände gebunden. Getötete Zivilisten bei einem militärischen Anti-Piraten-Einsatz passen nicht in das Konzept der EU. Schließlich hat die Atalanta-Mission sich auch den Schutz von humanitären Hilfstransporten für die notleidende somalische Zivilbevölkerung zum Ziel gesetzt.
Die Piraterie muss und sollte weiter bekämpft werden. Aber es gibt effektivere Methoden: wie zum Beispiel den beschleunigten Aufbau eines somalischen Küstenschutzes oder die Trockenlegung der Finanzströme der Piraten.
Die Hintermänner betreiben ein einträgliches, wohl organisiertes Geschäft. Diese Personen haben kein Interesse an stabilen Verhältnissen in Somalia. Wir Europäer schon und das nicht nur, um unsere Handelsschifffahrt zu schützen. Somalia ist als gescheiterter Staat auch zum Nährboden für islamische Terroristen geworden, die ein strategisches Interesse daran haben, die europäischen Soldaten an Land in Kämpfe zu verwickeln. So soll sich die grundsätzlich positive Einstellung der somalischen Bevölkerung gegenüber Atalanta in Hass auf ausländische Soldaten und den Westen verwandeln. Sollte das geschehen, hätten wir uns mit der Mandatsausweitung keinen Gefallen getan.