Obama kann es keinem Recht machen
13. Juni 2014In einer schwierigen Situation hilft es manchmal, sich zu fragen: Was wäre wenn? Wie sähen Reaktionen aus, wenn alles anders ausgegangen wäre? Nehmen wir an, US-Präsident Barack Obama hätte nicht fünf Taliban-Gefangene aus Guantanamo gegen Sergeant Bowe Bergdahl ausgetauscht. Stellen wir uns weiter vor, dass Bergdahl dann entweder von seinen Taliban-Kidnappern getötet worden. Oder aufgrund von Schwäche und Krankheit gestorben wäre. Das zu verhindern, war die Rechtfertigung der Obama-Regierung für den Austausch gewesen. Wie sähen bei diesem Stand der Dinge also die Reaktionen von Öffentlichkeit und Politikern aus?
Es hätte einen Aufschrei der Empörung gegeben darüber, dass Obama nicht alles getan hätte, um den einzig verbliebenen Kriegsgefangenen zu retten, der von den Taliban fünf Jahre in Afghanistan festgehalten wurde.
Dieselben Tea-Party-Eiferer, die jetzt Obamas Amtsenthebung fordern, hätten ihn als Feigling verunglimpft, der sich durch das Gesetz davon abhalten ließ, Bergdahl zu retten. Wahrscheinlich würden sie - genau wie jetzt - seine Amtsenthebung fordern, mit der Begründung, Obama wäre seiner Pflicht nicht nachgekommen, US-Soldaten zu schützen.
Dieselben Juristen, die gerade das Weiße Haus belangen wollen, weil Obama den Kongress vor dem Gefangenenaustausch nicht informiert hatte, würden dann nach einem Ermittlungsverfahren schreien, um herauszufinden, ob der Präsident alles in seiner Macht stehende getan hätte, um Bergdahl zu befreien. Die 45 Prozent der US-Bürger, die laut Umfragen den Austausch nicht gutheißen, hätten im Falle von Bergdahls Tod Obama vermutlich Untätigkeit vorgeworfen.
Die Entscheidung des Weißen Hauses, den Kongress zu umgehen, ist rechtlich sicherlich fragwürdig. Und auch die Umstände des Austauschs an sich werfen Fragen auf. Es besteht kein Zweifel daran, dass das Weiße Haus in Sachen Öffentlichkeitsarbeit in diesem Fall versagt hat. Und Bowe Bergdahls angebliche Schwierigkeiten mit dem Militär haben der Obama-Regierung auch nicht gerade geholfen.
Und trotzdem: Wenn man davon ausgeht, dass Bergdahls Leben in Gefahr war - und dazu gibt es bisher noch keine gegenteiligen Beweise, nur Spekulationen - dann steckte Obama wirklich in einer Zwickmühle. Er hat sich einleuchtenderweise dafür entschieden, Bergdahl zu retten - trotz aller ethischen und rechtlichen Probleme, die das mit sich brachte. Andere Präsidenten hätten vermutlich dasselbe getan. Dass Obamas Entscheidung Mittelpunkt einer regen, öffentlichen Debatte werden würde, war zu erwarten.
Doch der Zorn und die Bösartigkeit, die durch die Befreiung von Amerikas einzig verschlepptem Soldaten in Afghanistan ausgelöst wurden, sind erstaunlich - selbst für Obamas Regierung, die Beschimpfungen mittlerweile fast gewohnt ist.
Konservative Abgeordnete, die sich normalerweise gegenseitig in ihrer Unterstützung für das Militär übertrumpfen wollen, fragten, ob das Pentagon Bergdahl in ein Militärkrankenhaus in Deutschland einliefern ließ, um seine Rückkehr in die USA hinauszuzögern. Rechte Blogger vergleichen Obama mit Stalin und sagen, der Präsident sei möglicherweise psychisch krank. All das zeigt, dass die politische Kultur in den USA in echten Schwierigkeiten steckt.
Das ist zwar nichts Neues, aber der ideologische Eifer, mit dem einige die Bergdahl-Debatte führen, offenbart den wachsenden Bruch in der amerikanischen Gesellschaft. Zumindest aus internationaler Perspektive ist das besorgniserregend.