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PolitikEuropa

Mit dem Rücken zur Wand

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Juri Rescheto
24. August 2020

Während 150.000 Menschen erneut friedlich in Minsk demonstrieren, inszeniert sich Präsidenten Alexander Lukaschenko mit einer Schnellfeuerwaffe in der Hand. Das zeugt von seiner Verzweiflung, meint Juri Rescheto.

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Belarus Minsk | Präsident Alexander Luaschenko mit Gewehr
So zeigt in eine staatliche Agentur: Alexander Lukaschenko in Kampfmontur mit KalaschnikowBild: AFP/BELTA

So hat man ihn noch nie gesehen. Diesmal übertraf Batka, das Väterchen - wie Alexander Lukaschenko seit 26 Jahren in seinem Land genannt wird und den man in diesen 26 Jahren in verschiedenen Rollen erlebt hat - wirklich alle Erwartungen.

Vergesst den Ex-Kolchosenchef, der mit den hochgekrempelten Ärmeln volksnah Kartoffeln anpflanzte. Vergesst den sowjetischen Apparatschik, der seine griesgrämigen Minister wie kleine Kinder herunterputzte. Vergesst den selbstbewussten Corona-Dissidenten, der zu 100 Gramm Wodka als Corona-Vorsorge geraten hatte, sich dann aber später selbst mit dem Virus ansteckte. Vergesst den Macho, der sich über Frauen in der Politik lustig machte und seine Herausforderin Swetlana Tichanowskaja als "kleines Mädchen, das nicht weiß, was es tut” beleidigte.

Der vergangene Lukaschenko

Vergesst aber auch den plötzlich zerstreut und fast reumütig wirkenden Diener des Volkes, der nach der Präsidentschaftswahl von landesweiten Streiks seiner ehemals treuen Anhänger offenbar überrascht und von den Arbeitern eines großen Traktorenwerks vor laufenden Kameras ausgebuht wurde. Das alles war Alexander Lukaschenko in den vergangenen Jahren, Monaten und Tagen.

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Juri Rescheto leitet das Studio Moskau

An diesem Wochenende zeigte das belarussische Staatsfernsehen in verwackelten Smartphone-Aufnahmen einen ganz anderen Lukaschenko. Einen, dem nach außen hin wohl alle Mittel recht sind, um an der Macht zu bleiben, der aber in Wirklichkeit mittlerweile längst mit dem Rücken zur Wand steht.

Lukaschenko mit sportlicher schwarzer Baseball-Kappe, der mit einem ernsten Gesicht in einem Hubschrauber über der Hauptstadt Minsk in seine Residenz fliegt. Noch während des Flugs gibt er ins Cockpit das Kommando, der Pilot möge näher an die Demonstranten heranfliegen. Die Demonstranten selbst bezeichnet er nebenbei als "Ratten". Aus dem Hubschrauber ausgestiegen geht der in voller Kampfmontur an Rambo erinnernde Politiker energischen Schrittes in Richtung der Demonstranten. Er bleibt vor einer Gruppe von Sicherheitsbeamten stehen, welche die Demonstranten vor ihm auf sicherem Abstand halten. Er bedankt sich bei der - wie er - in schwarz gekleideten Spezialtruppe und droht in Richtung der Demonstranten: "Denen werden wir es schon zeigen!"

Ein filmreifer, fataler Fehltritt

Das alles macht der Präsident eines europäischen Staates mitten im 21. Jahrhundert - und zwar mit Schnellfeuerwaffe in der Hand. Alexander Lukaschenko trägt nämlich tatsächlich nicht nur Baseball-Kappe und eine kugelsichere Weste, sondern auch eine Kalaschnikow! Ein vielleicht filmreifer, aber letztlich auch fataler Fehltritt.

Ein Präsident, der seine ganze Legitimität aus angeblich mehr als 80 Prozent von Ja-Stimmen schöpft, sollte eigentlich ein Bad in der Menge nehmen und sich in überwältigender Volksliebe suhlen können. Wenn er denn tatsächlich die Unterstützung der 80 Prozent hätte. Stattdessen geht Lukaschenko mit einer Kalaschnikow in der Hand auf die Bürger zu.

Das Volk trägt Blumen

Und sein Volk? Die 150.000 Demonstranten auf dem Minsker Boulevard der Unabhängigkeit fordern friedlich seine Absetzung. Sie vermeiden jede Konfrontation mit der Polizei, ändern dafür mehrmals die Route. Sie skandieren, singen, umarmen die Soldaten mit Blumen statt Waffen. Krasser kann ein Kontrast nicht sein. Und auch die Kluft, die zwischen Alexander Lukaschenko und dem belarussischen Volk mittlerweile herrscht.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga