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Politik

Der Brexit oder das Jüngste Gericht?

24. Februar 2019

Mit dem EU-Austritt steuern die verrückt gewordenen Briten direkt in eine Katastrophe, muss man nach vielen Medienberichten und Aussagen von EU-Politikern denken. Wozu die Panikmache? Ein Kommentar von Nemanja Rujević.

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Brexit Puppen von Gove, Johnson und May schmoren in der Hölle
Müssen David Davis, Michael Gove, Boris Johnson und Theresa May (v.l.) wegen des Brexit wirklich in der Hölle schmoren?Bild: picture-alliance/empics/I. Infantes

Jüngst zeigte das deutsche Fernsehen seinem Publikum die Geschichte einer verzweifelten Mutter aus London. Die Frau war sich sicher, dass die Medikamente für ihre schwer erkrankte Tochter knapp werden, sobald Großbritannien die EU verlässt. Eine weinende Mutter ist jedenfalls ein starker Einstieg und mit etwas Talent macht man daraus eine ordentliche Reportage. Am Ende zeigt man noch einmal die Frau mit dem Statement, dass sie nun die Insel verlassen wolle, um in der medizinisch besser versorgten EU zu leben.

Klar, der Brexit ist als Thema von solchem Gewicht, dass er uns umso mehr beschäftigt, je näher er rückt. Kaum ein Aspekt blieb unbeleuchtet in unzähligen Analysen, Kommentaren und Reportagen, deren Inhalte sich immer wiederholen. Nach der nun bald drei Jahre andauernden Brexit-Berichterstattung in den deutschen und vielen anderen europäischen Medien gewinnt man vor allem einen Eindruck: Da verlässt nicht bloß ein Land die EU - da kommt das Jüngste Gericht selbst über die britischen Inseln.

Man fragt am besten einen Prepper

Ob Großbritannien gar vom Atlantischen Ozean verschluckt wird? Denn einer Vielzahl der oben genannten ordentlichen Reportagen zufolge, droht dem Vereinigten Königreich nicht nur Medikamentenknappheit, sondern auch wirtschaftliche Misere, Verwüstung der Londoner City, Hunger, Isolation und ein vernichtender Bürgerkrieg.

Nemanja Rujevic
Nemanja Rujević ist Redakteur bei DW-SerbischBild: DW

Als Experten kommen auch sogenannte "Prepper" zu Wort - Leute also, die zu Hause Wasser, Nudeln und Konserven bunkern für den Fall einer Katastrophe, die Invasion von Außerirdischen zum Beispiel oder eben den Brexit. Normalerweise werden solche Leute in den Mainstream-Medien als verrückte, bestenfalls komische Menschen dargestellt. Mit Blick auf den Brexit sind sie aber begehrte Ansprechpartner, deren Ängste ernst genommen werden.

Dabei gibt es durchaus Indizien, dass der angekündigte Weltuntergang überhaupt nicht kommt: Der britische Arbeitsmarkt boomt, die Löhne steigen, die Arbeitslosigkeit ist auf dem tiefsten Stand seit 1975. Und das "trotz Brexit", wie deutsche Medien stets betonen - nicht dass jemand zufällig auf den Gedanken kommt, die Hochkonjunktur sei gar dem Brexit zu verdanken.

Warum werden die makroökonomischen Kennzahlen im Falle Großbritanniens schlichtweg ignoriert, die sonst von den Medien so hochgeschätzt werden? Ja, die Märkte sind wegen des Brexit "verunsichert" - aber wer öfters Börsenberichte hört, weiß, dass die Kapitalanleger jeden Tag aus beliebigem Grund "verunsichert" sind, am Ende aber irgendwie immer ihr Vermögen mehren.

Es darf kein Leben ohne die EU geben

Die pessimistischen Prophezeiungen folgen einer anderen Logik, die vor allem aus Brüssel und Berlin serviert wird: Wer es wagt, die EU zu verlassen, wird leiden - ja, muss leiden! Man will all denen Angst machen, die das beispiellose historische Projekt der Versöhnung und engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit sprengen wollen. Die EU zusammenzuhalten ist eine legitime politische Absicht. Vor allem jetzt, da sich EU-Kritiker und Nationalisten in immer mehr Ländern im Aufwind befinden.

Doch die Drohkulisse, die jetzt den Briten gilt, erinnert unangenehm an das Unabhängigkeitsreferendum in Schottland 2014 oder an die Rhetorik gegenüber den katalonischen Separatisten. Den beiden wirtschaftlich und demokratisch hochentwickelten Regionen wurden und werden Katastrophenszenarien ausgemalt. Sollten sie ihre Spalterei weiter betreiben, heißt es aus Brüssel, dürften sie nicht in der EU bleiben. Und Gott allein wisse, welche Währung sie am Tag danach noch nutzen könnten.

Solche Narrative erzeugen - wie gewünscht - enormen Druck auf London, obwohl die Mehrheit der Briten weder in der Bevölkerung noch im Parlament einen Chaos-Brexit wollen. Dass die Briten unter sich und mit der EU kein Konsens finden, mag man ärgerlich finden, ist aber in einer lebendigen Demokratie und bei einer für die Zukunft prägenden Frage nichts ungewöhnliches.

Gibt es gute und schlechte Lügen?

Das alles wird übersehen, wenn man die Briten als selbstzerstörerische Sonderlinge darstellt - gerne mit dem Hinweis versehen, dass sie mehrheitlich im Juni 2016 ziemlich märchenhaften Erzählungen der Brexiteers geglaubt haben. Ist aber die Untergangs-Malerei, die jetzt Politiker-Statements und Medienberichte prägt, wirklich besser als die Lügen des Nigel Farage?

Es mag naiv klingen: Aber das ganze Brexit-Chaos wird schneller Vergangenheit sein, als wir momentan glauben. Der Ärmelkanal wird sich nicht vertiefen, und bald wird uns Großbritannien wie das größere Norwegen oder Island vorkommen. Und die verängstigte Mutter wird die Medikamente für ihre Tochter problemlos auch in London bekommen.