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Kerbers allerbeste Niederlage

Marko Langer Kommentarbild App PROVISORISCH
Marko Langer
9. Juli 2016

Auch wenn Angelique Kerber das Finale in Wimbledon gegen Serena Williams verloren hat, kann das deutsche Tennis viel von ihr lernen, meint DW-Redakteur Marko Langer. Vor allem in Sachen Netzwerk.

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Serena Williams und Angelique Kerber nach dem Finale in Wimbledon. Foto: dpa-pa
Bild: picture alliance/newscom/H. Philpott

Es ist wieder einmal wahr geworden, das Zitat von Rudyard Kipling über der Tür zum Centre Court des All England Lawn and Tennis Club. Denn Sieg und Niederlage, eigentlich ist alles eins. "If you can meet with triumph and disaster and treat those two impostors just the same", steht da. Übersetzt heißt das ungefähr: "Wenn Du Triumph und Niederlage hinnimmst und beide als Betrüger erkennst..."

Was Angelique Kerber an diesem 9. Juli 2016 in Wimbledon trotz des 5:7, 3:6 gegen Serena Williams erreichte, ist vielleicht noch wertvoller als ihr erster Grand-Slam-Sieg Anfang des Jahres bei den Australian Open. Den Sieg in der Niederlage erkennen und mit erhobenem Haupt sehen, dass in naher Zukunft mehr zu erreichen ist: Eine Schule des Lebens ist diese Sportart.

Rückblende : Sie wolle "alles genießen und mitnehmen" nach dem Erfolg, hatte Angelique Kerber gesagt. Das war im Januar. Die beste Tennisspielerin Deutschlands hatte gerade die beste Tennisspielerin der Welt, Serena Williams, im Endspiel der Australian Open geschlagen. Mit "alles mitnehmen" meinte Kerber weniger das satte Preisgeld, sondern mehr die Aufmerksamkeit. Interviews, Fernsehauftritte, Sponsorentermine, und, und, und ...

Rittner und der Porsche-Deal

Barbara Rittner, die Bundestrainerin und Fed-Cup-Chefin, war schon damals in Sorge um ihre Spielerin. Sie wusste sehr gut, wie viel Kraft der Grand-Slam-Sieg gekostet hatte. Und dass Kerber danach sowohl ein Fed-Cup-Match als auch bei kleineren Turnieren und sogar in der ersten Runde der French Open verlor, gab Rittner Recht.

Fed-Cup-Chefin Rittner (r.) mit Kerber. Foto: dpa-pa
Fed-Cup-Chefin Rittner (r.) mit KerberBild: picture-alliance/dpa/B. Weißbrod

Man muss überhaupt den Namen von Barbara Rittner sehr früh nennen, wenn man den Erfolg Kerbers erklären will. Sie war es, die im Jahr 2011 den Sponsorendeal mit Porsche für ihr Frauenteam (und damit auch für Kerber) an Land zog. Sie war es, die aus den Individualistinnen ein international führendes Team formte. Sie ist es auch (siehe oben), die im Zweifel offen kritische Worte spricht. Gut beraten sind die Spielerinnen, wenn sie auf Barbara Rittner hören.

"Ich habe das beste Team dort", rief Kerber am Samstag nach der Niederlage in Wimbledon. Torben Beltz ist ein weiterer Name, den man früh nennen muss, wenn es um Kerbers Erfolg geht. Seit Jugendtagen kennt der aus Itzehoe stammende Coach die Spielerin. Sie gingen zwischenzeitlich getrennte Wege. Doch Kerber war so klug, sich vor der entscheidenden Phase ihrer Karriere wieder dem - auch für seinen grenzenlosen Optimismus bekannten - Trainer anzuvertrauen. All die anderen Spielerinnen, die wahlweise entweder dem Papa oder einem rasch rotierenden Kreis von Übungsleitern Aufmerksamkeit schenken, können sich davon eine Scheibe abschneiden.

Vorteil Netzwerk

Und die Familie, na klar, die sie erdet und beschützt. Aber noch ein Punkt ist entscheidend für die Entwicklung Kerbers und vielleicht für den Aufschwung dieses Sports in Deutschland: Dass Barbara Rittner inzwischen die Lebensgefährtin des früheren Porsche- und heutigen VW-Chefs Matthias Müller (ebenfalls in London in Kerbers Box) ist und dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu Rittners Freundeskreis zählt, bedeutet nicht nur, dass die beiden mächtigen und Tennis spielenden Männer eine gute Privattrainerin haben. Es zeigt vor allem, wie viel von einem solchen Netzwerk abhängen kann. Dass auch in Zeiten der VW-Krise der Porsche-Vertrag (wenigstens öffentlich) nicht zur Diskussion stand, zeigt, dass sich das Marketing-Instrument für den Sportwagenhersteller bewährt hat.

Kein Sport für das große TV-Publikum

Und der Verband? Nun ja, man sollte nicht unfair sein: Der anfänglich als Kompromiss-Kandidat beäugte Präsident des Deutschen Tennis-Bundes, Ulrich Klaus, hat es immerhin vollbracht, die Zankereien und Intrigen, die unter seinen selbstbewussten Vorgängern vorherrschten, einzudämmen. Der DTB war es zu lange gewohnt, von den angeblich guten alten, da so lukrativen Zeiten der TV-Vermarktung (mit Hilfe von Boris Becker und Steffi Graf) zu träumen. Vorbei! Tennis ist keine Sportart für ein großes TV-Publikum (mehr), sondern auch international in den Händen von investitionsfreudigen Spezialisten: ESPN, Discovery, Eurosport, Sky, Perform. Deren Geschäfte laufen mit Hilfe des attraktiven Marketing-Produkts Tennis im digitalen Zeitalter immer besser.

DW-Redakteur Marko Langer. Foto: Sarah Ehrlenbruch
DW-Redakteur Marko LangerBild: Sarah Ehrlenbruch

Es wäre also zu wenig, nur auf das nächste Endspiel mit Angelique Kerber zu warten. Was nun bei uns zu tun ist:

- Da Tennis ein solch eleganter und attraktiver Sport ist, sollte es gelingen, auch für die Nachwuchsarbeit der Männer einen Partner nach dem Vorbild von Porsche zu finden. Dass sich mit Alexander Zverev wieder ein Deutscher anschickt, in die Weltspitze vorzustoßen, sollte da hilfreich sein. Auch der TV-Kooperationsvertrag mit Sat.1 / ran könnte da eine ganz andere Wertigkeit bekommen.

- Nachwuchsarbeit ist so wichtig, um wieder mehr Kinder und Jugendliche an diesen Sport heranzuführen. Idole helfen. Problematisch ist es hingegen, dass inzwischen nicht nur in der Tennis-Bundesliga, sondern sogar vier Klassen darunter (Oberliga!) Antrittsgelder für ausländische Spieler gezahlt werden. Dies muss zumindest stärker beschränkt werden.

- Der DTB hat 18 (!) Mitglieds- und Landesverbände. Kleinstaaterei hat hier Tradition. Einige der Leistungszentren atmen den Duft der 80er Jahre. In Großbritannien zum Beispiel hat die Nachwuchs- und Jugendarbeit ein moderneres Gesicht. Hierzulande hingegen fehlt es zum Beispiel an flächendeckenderen Kooperationen mit Schulen.

- Dabei braucht der chronisch klamme Verband keine hauptberuflichen Funktionäre. Es braucht aber die Entschlossenheit, die Energien zu bündeln, um den neuen Boom zu nutzen.

- "Leuchtturm"-Veranstaltungen wie das Rasenturnier im westfälischen Halle oder jetzt im Stuttgarter Weißenhof-Club dürfen nicht nur davon abhängen, wie es den jeweiligen Sponsoren geht. Ob es in Hamburg dem Turnierdirektor Michael Stich gelingt, das traditionsreiche ATP-Turnier am Leben zu erhalten?

Tennis ist ein großartiger Sport. Es ist eine Schule des Lebens, und manchmal ist es wichtiger, mit erhobenem Haupt zu verlieren als irgendwie zu gewinnen. Angelique Kerber hat am Samstag einen Sieg davongetragen.

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