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German leadership gegen europäische Hilflosigkeit

Robert Mudge - Kommentatorenbild (PROVISORISCH)
Robert Mudge
4. September 2015

Immer mehr Flüchtlinge machen sich auf den Weg nach Europa - und dieses Europa ist überfordert. Ganz Europa? Nein, Deutschland stemmt sich gegen die Hilflosigkeit - weil es kann und deswegen muss, meint Robert Mudge.

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Ungarn Flüchtlinge am Bahnhof in Bicske
Flüchtlingskind am Bahnhof im ungarischen BicskeBild: Reuters/L. Foeger

In diesen Tagen der eskalierenden Flüchtlings-Dramatik, eskaliert auch das Europa-Bashing. Empörte Stimmen werden lauter, die der Europäischen Union bestenfalls Inaktivität, schlimmstenfalls Inkompetenz und Hilflosigkeit im Umgang mit der Flüchtlingskrise vorwerfen.

Während in der Griechenland-Krise ein Ministertreffen auf das andere folgte und Sondergipfel fast im Wochenrhythmus abgehalten wurden, tat sich angesichts des Flüchtlingselends über Wochen hinweg gar nichts. Im August war Brüssel dort, wo es jedes Jahr im August ist: im Urlaub! Doch auch jetzt kommt der schwerfällige Brüsseler Bürokraten-Apparat nur mühsam in Gang. Kohärente und effektive Lösungsansätze der EU sucht man bisher jedenfalls vergebens.

Brüssel kann nicht alles tun

Andererseits darf man der EU auch nicht unrecht tun. Die entscheidende Frage - wo werden wie viele Flüchtlinge untergebracht? - kann Brüssel nicht regeln. Das haben sich die souveränen Mitgliedsstaaten selbst vorbehalten. Doch diese scheitern grandios daran, wenigstens eine freiwillige Quoten-Regelung zu vereinbaren. Weil viele EU-Staaten - europäischer Wertekanon hin oder her - nämlich am liebsten gar keine Flüchtlinge aufnehmen würden. Das ist an Hilflosigkeit und Zynismus nicht zu übertreffen!

Schon die Griechenland-Krise hat gezeigt, dass es jedoch weniger auf die EU-Kommission und den Brüsseler Apparat, als auf einzelne Staaten und einzelne Politiker ankommt, wenn halbwegs tragbare Lösungen erreicht werden sollen. Und machen wir uns nichts vor: Die Zustimmung aller 19 Euro-Staaten zum Rettungspaket war zwar formal notwendig - aber ohne Deutschlands Federführung wäre dieses nie zu Stande gekommen.

Mudge Robert Kommentarbild App PROVISORISCH
DW-Redakteur Robert Mudge ist britischer Staatsbürger

Und deswegen kann man auch in der gegenwärtigen Flüchtlings-Krise, die - menschlich gesehen - um einiges dramatischer ist als Griechenlands Finanz-und Wirtschaftskrise, keine wirklichen Lösungen von einem derart großen Staatenbund erwarten. Dafür sind die Eigeninteressen und Egoismen innerhalb der EU zu verschieden, die konkreten finanziellen und Aufnahmemöglichkeiten ohnehin.

Die Deutschen wollen helfen

In Deutschland rechnet man in diesem Jahr mit bis zu 800.000 Flüchtlingen. Als diese Zahl bekannt wurde, gab es zunächst auch hier die übliche larmoyante Kakophonie: Wie soll das gehen? Deutschland ist jetzt schon überfordert und überhaupt: Was ist mit den Anderen? Was tun die denn?

Aber man schaue sich nur die bewegenden Bilder von dieser Woche aus München an - der Ansturm der Helfenden, um die Ankömmlinge zu unterstützen. So reagiert ein Land, das helfen kann und helfen muss. Und die Bewunderung dafür ist groß im Ausland - besonders auch in Großbritannien, dessen Premierminister über Tage betonte, sein Land werde nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen. Ein früherer Widersacher Camerons, der ehemalige Außenminister David Miliband, hat ein Bild getwittert, auf dem deutsche Fußballfans zu sehen sind, die in verschiedenen Stadien auf Plakaten ihre Solidarität mit den Flüchtlingen zum Ausdruck bringen. Darüber schrieb Miliband zwei Worte: German leadership.

Mehr deutsche Alleingänge bitte!

Genau das ist der Punkt: Die Anderen können oder wollen nicht, Deutschland mit seinen Mitteln und Möglichkeiten aber sehr wohl. Das ruft zwar die Eitelkeit der Brüsseler Zentralisten auf den Plan, die sich um ihr europäisches Gesamtgefüge sorgen und eine Renaissance starker Nationalstaaten befürchten. Und die keine Alleingänge - schon gar nicht von Deutschland - dulden wollen.

Diese Kritiker übersehen jedoch, dass bestimmte Ereignisse eine andere Herangehensweise erfordern. Eine Herangehensweise, die nicht den supranationalen Normen der EU entspricht, die aber - trotz aller Probleme und Widrigkeiten - wirkungsvoller ist und sein wird als alles, was 28 Staaten in zeitraubenden und dennoch lauen Kompromissen aushandeln können.

Deutschland soll und muss in der Bewältigung der Flüchtlingskrise Vorreiter sein. Diese wird uns noch länger begleiten, womöglich Jahre. Das Ausmaß ist noch völlig offen. Rückblickend wird die Geschichte aber zeigen, dass in Berlin und nicht in Brüssel die wegweisenden Entscheidungen und Maßnahmen getroffen wurden.