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Hoffnung für Srebrenica-Opfer

Benjamin Pargan16. Juli 2014

Ein Gericht hat die Niederlande für den Tod von über 300 Muslimen in Srebrenica mitverantwortlich gemacht. Eine richtige Entscheidung, meint Benjamin Pargan, aber noch nicht das Ende der Aufarbeitung des Massakers.

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Urteil zur Klage der Mütter von Srebrenica gegen die Niederlande 16.7.2014
Bild: picture-alliance/dpa

Obwohl es bereits vor drei Jahren ein ähnliches Urteil eines niederländischen Berufungsgerichts gab und das heutige Urteil noch nicht rechtskräftig ist, muss der heutige Tag einen gebührenden Platz in der europäischen Geschichte finden. Denn dieses Urteil des niederländischen Gerichts ist noch ein weiterer Beleg für das kollektive Versagen Westeuropas im Sommer 1995. Es dokumentiert eine richterlich bestätigte Mitverantwortung für den größten Völkermord in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Ja, die niederländischen Blauhelme tragen die direkte Verantwortung mindestens für die Menschen, die sie im Juli 1995 aus ihrem Stützpunkt in die Hände der bosnisch-serbischen Soldaten trieben. Das unrühmliche Verhalten des niederländischen UN-Bataillons wurde in vielen Untersuchungsberichten bestätigt.

Freispruch in eigener Sache

Die Fehleinschätzungen und das fürchterliche Versagen der Offiziere, ihre militärische Arroganz, die banalen Kommunikationspannen, die demonstrative Tatenlosigkeit. Alles präzise und schriftlich festgehalten. Trotzdem erteilte sich die niederländische Regierung noch im Sommer 2003 selbst einen glatten Freispruch. Von einer Schuld der Niederlande am Srebrenica-Massaker könne keine Rede sein, behauptete der damalige christdemokratische Premier Jan Peter Balkenende. Solche Auftritte waren, sind und bleiben skandalös. Sie sind ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen der Opfer aus Srebrenica.

Einige Mütter suchen noch immer die Leichen ihrer Söhne, Ehemänner, Brüder, die niederländische Soldaten aus ihrem Stützpunkt in der sogenannten UN-Schutzzone direkt an die Schergen des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić ausgeliefert hatten. Viele Soldaten des Bataillon "Dutchbat" halfen sogar fleißig beim Trennen von Frauen und Männern mit, obwohl zu dem Zeitpunkt schon klar war, dass Männer und Jungen deportiert und ermordet würden. Dass einige der niederländischen Soldaten jahrelang die Massaker verschwiegen hatten, deren Zeugen sie waren, gibt der ganzen Geschichte eine besonders bittere und gar zynische Note.

Benjamin Pargan (Foto: DW)
Benjamin Pargan, Leiter der bosnischen Redaktion der DWBild: DW/P. Henriksen

Die nun bereits zum zweiten Mal zivilrechtlich bestätigte Mitverantwortung der Niederlande ist für die Hinterbliebenen der bosniakischen Opfer eine lang erwartete Genugtuung. In ersten Reaktionen sprechen sie von später Gerechtigkeit und kündigen weitere Klagen an. Es ist aber falsch und ungerecht, wenn die unrühmliche Rolle der niederländischen UN-Soldaten von der fatalen und direkten Mitverantwortung anderer Protagonisten der Tragödie von Srebrenica ablenkt.

Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen

Die Rolle des damaligen Befehlshabers der UN-Friedenstruppen im ehemaligen Jugoslawien, Bernard Janvier, muss genauso konsequent und unvoreingenommen geprüft werden. Der französische General verweigerte hartnäckig Luftschläge auf die vorrückenden Panzer der bosnisch-serbischen Einheiten, obwohl die dafür notwendigen Bedingungen erfüllt waren: Soldaten der UN-Truppe waren direkt angegriffen worden und Ratko Mladić verletzte gnadenlos das Ultimatum, das ihm gestellt worden war. Die Bitten um Unterstützung aus der Luft wurden von General Janvier in den Tagen unmittelbar vor der Eroberung Srebrenicas mehrfach abgewiesen. Der Frage der Verantwortung des Generals ging eine Untersuchungskommission im Auftrag der französischen Nationalversammlung nach.

Dabei wurde sogar die These untersucht, nach der Bernard Janvier und Ratko Mladić in den Julitagen 1995 einen Handel abgeschlossen haben sollen: keine Luftschläge, dafür im Gegenzug die Freilassung der französischen Gefangenen, die sich in der Gewalt der bosnisch-serbischen Soldaten und Söldner befanden. Die Verhandlungen über die Freilassung der französischen Geiseln wurden bestätigt, doch sie seien "über andere Kanäle geführt" worden, hieß es im Abschlussbericht. Die meisten Mitglieder der französischen Untersuchungskommission lehnten die These ab. Damit erlaubte sich eine weitere westeuropäische Regierung einen bequemen Freispruch in eigener Sache.

Dies ist nur eines der Beispiele dafür, dass im Falle des größten Völkermordes in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg eine lückenlose und unabhängige Aufarbeitung des kollektiven Scheiterns der internationalen Staatengemeinschaft mit der UN an der Spitze, noch nicht abgeschlossen ist. Auch nicht nach diesem wichtigen Urteil in den Niederlanden. Die Mütter von Srebrenica haben also das Recht und die Pflicht weiter nach der Wahrheit zu suchen.