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Ein Mann mit Botschaften

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Gero Schließ
8. Oktober 2015

Amtsbesuch bei Obama, schön und gut - aber was wird bleiben von Gaucks Auftritt im Weißen Haus? Freundschaft, Wertschätzung - und viele offene Fragen. Eine Analyse von DW-Korrespondent Gero Schließ.

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Joachim Gauck auf seiner Reise durch die USA
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Jetzt hat es mit Joachim Gauck endlich wieder ein Bundespräsident ins Oval Office geschafft. Das allein ist für viele in Deutschland schon Grund zur Genugtuung. Dass Gauck mit Präsident Obama viel länger sprach als ursprünglich geplant, das wurde von deutscher Seite ebenfalls aufmerksam vermerkt. 18 Jahre ist es her, dass mit Roman Herzog zuletzt ein Bundespräsident im Weissen Haus empfangen wurde. Viel zu lange, sagen manche - sie wittern darin mangelnde Beachtung durch die Amerikaner.

Doch derlei diplomatische Erbsenzählerei ist völlig überflüssig. Sie ist von gestern und stammt aus einer Zeit, als die Deutschen - noch ängstlich geduckt an der Seite der USA - ihrer selbst und ihrer Rolle unsicher waren. Dass sich das geändert hat, kann jeder täglich in den Weltnachrichten sehen. Deutschland tritt heute selbstbewußt auf, ist bei der Ukraine-Krise, in den Nukleargesprächen mit dem Iran und jetzt auch im Syrien-Konflikt gefragt wie nie zuvor. Die Deutschen müssen sich nicht um mangelnde Beachtung sorgen. Eher schon, dass man sie überfordert.

Obamas Wertschätzung gilt Gauck - und Merkel

Keine Frage, Obamas Treffen mit Gauck ist als Geste der Wertschätzung gemeint - nicht nur für den Bundespräsidenten selber, der wie kaum ein anderer für die deutsche Einheit steht und als Pastor und ehemaliger Chef der Stasi-Unterlagenbehörde moralische Autorität ausstrahlt. Die Wertschätzung des amerikanischen Präsidenten gilt auch dem wichtigen europäischen Verbündeten Deutschland - und vor allem gilt sie Kanzlerin Merkel, die Gauck wohl auch die Türen ins Weisse Haus geöffnet haben dürfte. Wertschtzung - diese Botschaft soll vor allem die vielen Zweifler und Kritiker in Deutschland erreichen, die nicht zuletzt durch den NSA-Skandal ihre alten Vorbehalte bestätigt sahen.

Eine andere Botschaft ist aber viel wichtiger. Sie kommt von Gauck selbst: Deutlicher, als es Kanzlerin Merkel wohl getan hätte, erinnerte der Bundespräsident die US-Amerikaner an ihre besondere Verantwortung in der Flüchtlingskrise. Denn nicht zuletzt die militärischen Interventionen der USA im Mittleren Osten waren es, die das Chaos und die Fluchtbewegung ausgelöst haben. Es war einer der politischsten Momente der USA-Reise Gaucks, als er die Amerikaner zu mehr Kooperation in dieser Frage aufrief. Obama hat darauf leider nur mit Allgemeinplätzen geantwortet - auch wenn er richtig analysiert, dass die Flüchtlingskrise die politische Stabilität in Deutschland auf lange Sicht gefährdet.

DW-Korrespondent Gero Schließ
Nie war diese Freundschaft so wichtig wie heute: DW-Korrespondent Gero Schließ

Nie war diese Freundschaft so wichtig wie heute

Wichtiger als die Aufnahme weiterer Flüchtlinge durch die USA wäre es, dass die Obama-Regierung unter Hochdruck an einer politischen Lösung arbeitet. Doch das ist nicht das Feld des Bundespräsidenten, sondern das der Bundeskanzlerin. Ihr offener Kanal zu Putin ist für Obama genauso wertvoll wie die deutschen Spezialkontakte zum Iran, die schon bei den Nuklearverhandlungen bedeutsam waren.

Joachim Gauck hat bei seiner USA-Reise versucht, neben den aktuellen politischen Konfliktfeldern das große Ganze nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Mit großer Bestimmtheit hat er die historischen Linien der deutsch-amerikanischen Freundschaft nachgezeichnet. Seine Botschaft an das skeptische Publikum in der Heimat ist unmissverständlich: Nie war diese Freundschaft so wichtig wie heute. Angesichts der vielen Krisen rund um Europa ist ein Engagement der USA wichtiger denn je.

Gauck rief die Amerikaner eindringlich dazu auf, sich nicht vom alten Kontinent abzuwenden. Denn die Europäer können ihre eigenen Krisen und die Konflikte in der östlichen und südlichen Nachbarschaft noch lange nicht alleine lösen. Die durch den Syrienkonflikt ausgelöste Flüchtlingswelle ist da nur das jüngste Beispiel.

Gaucks Appell - ein Armutszeugnis?

Der Appell an die Amerikaner, sich nicht weniger, sondern mehr in Europa zu engagieren, kam im Weissen Haus nicht gut an. Denn Obamas Strategie läuft ja gerade darauf hinaus, die Lasten einer Weltmacht auf mehrere Schultern zu verteilen. Bei genauem Hinsehen ist der Appell ein Armutszeugnis für Deutschland und Europa. Denn hier gibt es keine Strategie für eine europäische Sicherheitspolitik, die Osteuropa und den Mittelmeeraum miteinbezieht. Doch das ist nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten.

Gaucks Feld ist es, mit Worten und Gesten Einfluss zu nehmen und Botschaften zu formulieren. Auf seiner USA-Reise hat er genau das getan - nicht durchweg erfolgreich, aber durchweg engagiert.