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Europäer flehen Griechen an

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
29. Juni 2015

Einige Regierungschefs und die Spitzen der EU haben alle Zurückhaltung fallen lassen und werben jetzt offen um ein "Ja" der Griechen am Sonntag. Ihnen bleiben nur noch Appelle, meint Barbara Wesel.

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Brüssel: Außenansicht der Europäischen Kommission (Foto: dpa/picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/D. Kalker

Selten hat man die Spitzen der Europäischen Union so nah am Rande des Nervenzusammenbruchs gesehen. Bei Parlamentspräsident Martin Schulz äußerte sich die Frustration in dem Angebot, selbst nach Griechenland zu fahren und dort für ein "Ja" beim Referendum zu werben. Und ratlos sucht der Sozialdemokrat nun nach einer Brücke zwischen dem Ablauf des Hilfsprogramms in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch und dem Referendum am Sonntag.

Alexis Tsipras hat wohl inzwischen in Brüssel angerufen und um Hilfe gebeten. Aber wie soll das gehen? Will man die Uhr anhalten, will man Regeln und Vertragsrecht einfach außer Kraft setzen? Es sieht nicht so aus, als ob die Eurozone Lust hätte, einmal mehr zu griechischer Musik Sirtaki zu tanzen. Tsipras hätte schon vor vier Wochen ein Referendum abhalten können, wenn er es gewollt hätte. Damals war noch genug Zeit.

Griechenversteher am Ende

Martin Schulz gehörte in den vergangenen Monaten zu den bevorzugten Gesprächspartnern von Alexis Tsipras. Er hat bis zum Ende um Verständnis für die griechischen Anliegen geworben, immer Zeit für den griechischen Premier gehabt und versucht, den Neuling auf dem Weg durch das politische Labyrinth Europas an die Hand zu nehmen. Aber der hat das gar nicht gewollt, wie sich jetzt zeigt. Auch in der EU gilt: Keine gute Tat, die nicht bestraft wird.

Noch viel schwerer ist es für den obersten Griechenversteher, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Hatte er nicht Tsipras getätschelt, ihm den roten Teppich ausgerollt, und zuletzt Tage und Nächte mit ihm und seinen Leuten verhandelt? War er nicht Vorkämpfer für immer weichere Linien und flexiblere Kompromisse im griechischen Reformprogramm? Jetzt steht Juncker da wie ein betrogener Liebhaber.

Barbara Wesel, DW-Korrespondentin in Brüssel (Foto: DW)
Barbara Wesel, DW-Korrespondentin in BrüsselBild: DW/G. Matthes

Manche unter den Finanzministern schienen am Wochenende fast erleichtert, dass das Psychodrama ein Ende hatte. Juncker aber zeigte sich gekränkt. Auch er musste schließlich einsehen, dass die Regierung in Athen einfach keine Einigung wollte. Manche in Brüssel hatten das schon längst vermutet. Ende voriger Woche hatte man sich schließlich so weit angenähert, dass kaum noch zu erklären war, warum Tsipras das Angebot nicht endlich annahm. Nur durch das Referendum konnte er sich davor retten.

Tsipras täuscht EU und Griechen

Der Kommissionspräsident steht jetzt mit seinem guten Willen und seinen Appellen zur Gemeinsamkeit im Regen. Er hat sich weit aus dem Fenster gelehnt, auch in der Hoffnung, am Ende als Retter Europas seine eigene Macht zu festigen. Jetzt sieht man ihn erschöpft, traurig und irgendwie geschlagen. Man kann Menschen nicht helfen, die sich aus ideologischen Gründen nicht helfen lassen wollen. Und man kann eine Regierung auch nicht zwingen, ihren Bürgern ehrlich zu erklären, was da am Ende als Kompromiss auf dem Tisch lag. Auf dem Wahlzettel für die Volksabstimmung wird nur ohne Erläuterung auf das Hilfsprogramm nach dem Stand von voriger Woche verwiesen, was für den griechischen Wähler so unverständlich ist wie eine Fremdsprache. Direkt daneben steht das Kästchen für ein "Nein". Die Regierung zeigt deutlich, welches Ergebnis sie wünscht.

Eurozone wird überleben

Jetzt bleibt Paris, Rom und Berlin nichts übrig, als nach besten Kräften an die Griechen zu appellieren, sich am Sonntag für eine Zukunft im Euro zu entscheiden. Es ist vielleicht strategisch nicht schlau, das Referendum zu einer solchen Schicksalsfrage zu stilisieren. Dennoch: Heißt die Antwort "Nein", wird die Rückkehr an den Verhandlungstisch extrem schwierig. Auf dem Spiel steht dabei vor allem die Zukunft Griechenlands. Denn die Eurozone wird das Drama überleben, die Reaktionen an den Finanzmärkten waren deutlich, aber nicht extrem.

In Gefahr ist dagegen der griechische Staat. Wie will Athen sich künftig finanzieren, wie die Banken stabilisieren, die faktisch längst pleite sind? Wie soll die Wirtschaft nach wochenlangem Stillstand wieder in Gang kommen? Wovon will überhaupt das Land leben? Auf keine dieser Fragen hat Syriza bisher Antworten gefunden. In jedem Fall kann Athen auf Katastrophenhilfe aus Brüssel zählen. Aber soll das die Zukunft der stolzen Griechen sein, Carepakete aus der Eurozone zu empfangen? Wie Martin Schulz so richtig sagt: Euro oder nicht Euro, das ist am Sonntag die Frage. Es wäre gut und vernünftig, wenn die Griechen "Ja" sagten. Aber die Entscheidung liegt bei ihnen, und ob sie die Tragweite erkennen, ist ungewiss.