Was für ein gewaltiger Text! Welche Wucht. Papst Franziskus ruft in seiner Enzyklika "Laudato si" zu einer Rückbesinnung auf die Schöpfung auf, zu mehr Umweltschutz, zu einem entschiedenen Gegensteuern beim Klimawandel, zu Verzicht und Entschleunigung.
Und er tut das in der Sprache der Kirche Lateinamerikas: Manchmal spricht Wut aus diesen 108 Seiten, manchmal klingen sie fast zart. "Wir sind nicht Gott", mahnt er. "Der Sieger nimmt alles mit", klagt er. Der Text wirkt so politisch wie spirituell. Nein, in der Tradition der lateinamerikanischen Theologie des Volkes muss man sagen: Der Text wird eben deshalb politisch, weil er so geistlich, so spirituell ist. Da lässt Franziskus die Not der Stimmlosen zu Wort kommen und spricht selbst von der "vorrangigen Option für die Ärmsten".
Rückbesinnung auf die Grundprinzipien der Sozialethik
Die verwundete Welt - für sie wird Franziskus manchmal geradezu revolutionär und fordert doch nur die Rückbesinnung auf Grundprinzipien der Sozialethik. Statt der "absoluten Herrschaft der Finanzen". Er wirbt für eine neue Humanökologie und - mit manchem Detail zur Umsetzung - für "globales Gemeinwohl". Er prangert die "Globalisierung des technokratischen Paradigmas" an, die einer perversen Logik folge und Widerstand erfordere. Größenwahn, eine Wegwerfkultur, die beispiellose Zerstörung der Ökosysteme in der Gegenwart, die häufige Schwäche der internationalen politischen Reaktion - seit dem Bericht "Die Grenzen des Wachstums", den der Club of Rome 1972 vorlegte, ist kaum jemand in seiner Nachdenklichkeit so deutlich, so grundsätzlich geworden. Auch diesen Bericht toppt Franziskus.
So wendet er sich mit Bedacht, wie er betont, "an alle Menschen guten Willens" und spricht immer wieder Bürgerbewegungen und ökologisch engagierte Kreise an. Und gegen Ende formuliert er ein Gebet, das er nicht nur Christen nahelegt, sondern all jenen, die an einen Schöpfergott glauben.
Politik, gute Literatur und zugleich auch Gebet
Auch dieses Lehrschreiben wird, wie manche seiner Vorgänger, in der Gefahr stehen, von politischer Seite zu Tode gelobt zu werden. Da wird sich jede Parteienfarbe sich einzelne Sätze herausziehen und sagen: Hier ist er so grün / schwarz / rot / knallrot / tiefgrün. Sie alle werden Franziskus falsch verstehen, weil sie ihn falsch verstehen wollen, und damit dem Anliegen einer Wende im Klimaschutz wieder einmal keinen Gefallen tun.
Am ehesten könnten noch Landlose oder von Landspekulanten Vertriebene in Argentinien sagen: Hier, er ist einer von uns. So nüchtern und anteilnehmend zugleich schildert der argentinische Pfarrer Jorge Mario Bergoglio, der seit gut zwei Jahren aller Franziskus ist, die Nöte, die tiefe Not dieser Menschen: "Immer wieder trifft es die Schwächsten." Auch da ist das Schreiben Politik wie auch gute Literatur und ebenso sehr Gebet. Klagegebet.
Während der vergangenen Jahrzehnte hatte man sich daran gewöhnt, dass päpstliche Lehrschreiben ellenlang kirchliche Tradition zitierten - Augustinus, Benedikt den Großen, Thomas von Aquin und andere. Franziskus beruft sich dagegen überwiegend auf seine Vorgänger der vergangenen 50 Jahre. Und führt dazu wie keiner seiner Vorgänger immer wieder Bischofskonferenzen an. Aus Portugal und Ozeanien, aus Südafrika und den Philippinen und auch aus Deutschland, vor allem aber immer wieder Lateinamerika. Paraguay, Bolivien, Mexiko, Argentinien, Brasilien. Da merkt man, wie Franziskus seinen Bischöfen lauscht und auf sie baut. Und dass er, der im "Ich"-Stil singularisch schreibt, sich als erster unter gleichen sieht.
Der Papst muss und wird Kritik aushalten
Gewiss macht sich der Autor auch angreifbar. Wenn er die Bankenrettung aus Steuermitteln kritisiert, wenn er Boykott-Aktionen von Verbraucher- oder Umweltschützern im Prinzip absegnet. "Viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen." Die vorbeugenden Selbstdistanzierungen konservativer US-Republikaner bestätigten den Papst schon im voraus. Aber solche Kritik wird der Mann in Rom aushalten.
Seit seinem Amtsantritt zeigt sich Franziskus als menschennaher Papst. Nie war er so sehr Franziskus wie in diesen Zeilen. Selbst erinnert er an den großen Ordens-Revolutionär des Mittelalters, Franziskus von Assisi (1181/82-1226), der der Enzyklika auch den Namen gibt. Der sei "das Beispiel schlechthin für die Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und für eine froh und authentisch gelebte ganzheitliche Ökologie". Dieser Spur folgt dieses Lehrschreiben.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!