Die Freiheit stirbt scheibchenweise
17. Januar 2015Sie sind ehrlich und gesetzestreu? Sie sagen immer die Wahrheit und zahlen ehrlich Ihre Steuern? Herzlichen Glückwunsch! Denn für Sie scheint dann zu gelten, was Vater Staat verspricht, was alle Befürworter der Vorratsdatenspeicherung versprechen: "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten." Abgesehen davon, dass diese Behauptung nachweislich falsch ist, sollten Sie nochmal in sich gehen: Haben Sie wirklich keine Geheimnisse? Dinge, Gedanken, die nicht jeder wissen soll? Wenn Ihre Antwort noch immer "Ja" lautet, dann sollten Sie trotzdem weiterlesen! Vielleicht löse ich bei Ihnen am Ende ja doch leise Zweifel am vermeintlichen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung aus.
Ich verrate an dieser Stelle kein Geheimnis und mache auch keins daraus, dass ich Journalist bin. Ich gehöre also zur Gruppe der sogenannten Berufsgeheimnisträger - so wie Ärzte, Geistliche oder Anwälte. Wir alle führen regelmäßig vertrauliche Gespräche - mit und ohne Telefon. Es geht um schwere Krankheiten, seelische Nöte, Straftaten, sensible Recherchen. "Na und?", fragen Sie jetzt vielleicht. "Das bleibt doch alles unter uns." Diese Vermutung entspricht aber keinesfalls der Logik von Geheimdiensten. Die wollen nämlich Terroristen daran hindern, Anschläge zu verüben. Dafür benötigen sie angeblich alle Ihre und meine Verbindungsdaten im Telefon- und Internetverkehr.
Verdächtig, weil ich rechtsextreme Seiten aufrufe
Haben Sie sich mal gefragt, warum die schrecklichen Attentate in Paris passieren konnten, obwohl in Frankreich die verdachtsunabhängige, massenhafte Vorratsdatenspeicherung erlaubt ist? Weil Millionen Telefonnummern und IP-Adressen von Computern zunächst wenig mehr als endlose Zahlenkolonnen sind. Wenn Ermittler mehr erfahren wollen, müssen sie an die Inhalte ran. Bei einem konkreten Verdacht können sie dafür in Deutschland mit richterlicher Genehmigung Telefone abhören. Diese rechtsstaatlich einwandfreie Möglichkeit nutzen sie in Zeiten des Antiterror-Kampfs auch viel mehr als früher. Damit gelingt es dem Staat auch immer wieder, Terrorakte oder andere kriminelle Handlungen zu verhindern.
Mit der Vorratsdatenspeicherung gelingt das nicht, sie bleibt als Waffe im Antiterror-Kampf zwangsläufig stumpf. Für die Privatsphäre stellt sie hingegen eine enorme Gefahr dar. Es wird nämlich in Kauf genommen, dass theoretisch von der gesamten Bevölkerung jederzeit Bewegungsprofile erstellt werden können. Auf der Basis von Filtern und Suchbegriffen geraten Menschen ins Visier von Geheimdiensten, weil sie häufig verdächtige Nummern anrufen oder Internetseiten aufrufen. Ich tue das aus professionellen Gründen. Zu meinen Arbeitsschwerpunkten gehören auch unappetitliche Themen wie Rassismus und jegliche Spielarten des Terrorismus.
Der gläserne Bürger ist längst Realität
Meine Recherche dazu endet aber nicht auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung. Ich rufe auch mal Leute an, mit denen ich niemals ein Bier trinken würde und die vielleicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. In den Augen staatlicher Behörden mache ich mich damit potenziell verdächtig. Auch als Privatperson bekomme ich mitunter Mails von einschlägig bekannten Absendern. So habe ich mal das Buch eines Rechtsextremisten im Internet bestellt. Für meinen Sohn, der zu diesem Thema in der Schule ein Referat gehalten hat.
Wenn Sie mich jetzt für hysterisch oder paranoid halten, empfehle ich Ihnen die Lektüre eines Artikels über eine Studie der US-Universität Stanford. Die Probanden haben über einen längeren Zeitraum freiwillig ihre Daten speichern lassen. Die Auswertung ließ unter anderem konkrete Rückschlüsse auf die physische und psychische Verfassung der Studienteilnehmer zu: ungewollte Schwangerschaft, Multiple Sklerose, Herzprobleme. Solche Daten können jederzeit in falsche Hände geraten. Meldungen über den virtuellen Diebstahl sensibler Daten gibt es täglich. Sind Sie immer noch für die Vorratsdatenspeicherung?