Kommentar: Die Abwahl Sarkozys
23. April 2012Die gute Nachricht vorweg: Frankreichs Demokratie ist lebendig, quicklebendig. Nach einem langweiligen und zähen Wahlkampf hatten viele Demoskopen eine Rekordstimmenthaltung erwartet, doch die Wähler strömten so zahlreich wie schon lange nicht mehr zu den Wahlurnen. Das Ergebnis, das sie ihren Politikern mit auf den Weg geben, ist dagegen keine Überraschung: In zwei Wochen werden Amtsinhaber Nicolas Sarkozy und sein Herausforderer François Hollande in einer Stichwahl unter sich ausmachen, wer die kommenden fünf Jahre im Elysée-Palast residiert. Wenn kein politisches Wunder mehr geschieht, dürfte dies der Sozialist François Hollande sein.
Anti-Sarkozy-Stimmung im Land
Die erste Runde dieser Präsidentschaftswahlen war vor allem eine Abwahl des amtierenden Präsidenten. Seine Hoffnung, durch einen hasardeurhaften Wahlkampf doch noch in der ersten Runde als Sieger über die Linie zu huschen und so Schwung für den zweiten Wahlgang zu erhalten, hat sich nicht erfüllt. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend. Der wichtigste: Die Franzosen haben die Person Nicolas Sarkozy satt und wollen offensichtlich seinem Gegenentwurf, dem ausgleichenden und berechenbaren François Hollande, eine Chance geben. Sarkozys Sprunghaftigkeit, sein Geltungsdrang und sein häufig unpräsidialer Gestus stoßen auch im eigenen Lager auf immer größere Ablehnung. Seine polarisierende Persönlichkeit ist für ihn zu einer schweren Hypothek geworden, die er nur durch eine gute Wirtschaftsbilanz hätte ausgleichen können. Doch am Tag der Wahl leidet Frankreich unter der höchsten Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren, einer gefährlich hohen Staatsverschuldung, einem Rekordaußenhandelsdefizit und dem allgemeinen wirtschaftlichen Abstieg.
Schlechte Bilanz des Präsidenten
Ob ein anderer Politiker in den stürmischen Zeiten der Finanzkrise eine wesentlich bessere Bilanz gehabt hätte, ist unwahrscheinlich – aber auch zweitrangig, denn Sarkozy selbst hatte die Erwartungen in die Höhe geschraubt, als er 2007 die Wahl als Präsident der Reformen gewonnen und den Bruch mit der alten Zeit angekündigt hatte. Einige Reformversprechen löste er danach auch ein, trotzdem übergibt er jetzt am Ende seiner Amtszeit ein Land, das kontinuierlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Dass Sarkozy hierfür die Quittung kassiert, ist insofern verständlich, als dass er selbst nie einen Zweifel daran gelassen hat, dass er sich nicht in der Rolle des Schiedsrichters über den Parteien sieht, sondern als oberster Politikgestalter. Kein Problem, das der Präsident nicht selbst angepackt hätte: Sein Regierungschef geriet da häufig zum Statisten. Der desolate Zustand Frankreichs ist also seine Bilanz – die mildernden Umstände der Finanzkrise, seine durchaus vorhandenen Erfolge in der Außenpolitik und im Euro-Krisenmanagement fallen für das Wahlvolk nicht ins Gewicht.
Die gefürchtete Wahlkampfmaschine Sarkozy hat mit unbändiger Energie gegen diese schlechte Bilanz gekämpft – aber die Wähler haben offensichtlich nur einen angeschlagenen Boxer gesehen, der sich in die Ecke gedrängt fühlt. Noch sprunghafter als seine Amtszeit als Präsident gerieten die letzten Wochen des Wahlkampfs, in denen er Ressentiments gegen Immigranten genauso bedient hat wie die im Land verbreitete Europaskepsis.
Ökonomische und soziale Misere stärkt Populisten
Aber nicht nur der Präsident hat in den vergangenen Wochen wild um sich geschlagen. Das Votum des Volkes an diesem Sonntag steht ihm in nichts nach. Als Reaktion auf einen – zumindest an seinen eigenen Ansprüchen – gescheiterten Reformer, flüchten die Franzosen nun selbst vor der Realität. Anders als vor fünf Jahren ging bei dieser Wahl nicht der umsichtige und europa-freundliche François Bayrou als Dritter durchs Ziel, sondern eine Allianz der Rückwärtsgewandten. Skandalöse 18 Prozent der Wähler stimmten für die kruden Ideen der rechtspopulisten Marine Le Pen vom Front National. Gefolgt von einem anderen Populisten: Jean-Luc Mélenchon von der Linksfront. Beide suchen die Schuld für die schlechte Lage des Landes vor allem im Ausland: Wahlweise stehen der Austritt aus der NATO, der Euro-Zone und dem Schengen-Abkommen oder auch die Abschottung vor jeglicher wirtschaftlicher Konkurrenz in ihren Programmen. Es sind erschreckend billige Rezepte aus der ideologischen Mottenkiste, die fast ein Drittel der Wähler überzeugt zu haben scheinen – und offenbar vor allem junge Wähler anziehen, die sich als Verlierer der Globalisierung fühlen. Diese Wähler klammern sich an ein Bild von Frankreich, das mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. Sie glauben, oder hoffen zumindest, dass sich Frankreich von Europa, vom Rest der Welt abkapseln und wie auf einer Insel nach seiner Façon selig werden kann. Man muss nur den entsprechenden Politiker dafür wählen.
Dieser Glaube an die grenzenlose Machbarkeit durch den Staat wurde zwar in der Vergangenheit durch die Politik nie eingelöst, ist in der Gesellschaft dennoch tief verwurzelt: Junge Franzosen träumen nicht von einer Karriere in der Wirtschaft, sondern in der Verwaltung. Aufbruchstimmung sieht anders aus.
Das Fernsehduell als letzte Hoffnung für Sarkozy
Auf diese Gefühle im Volk werden die beiden Stichwahlkandidaten in den kommenden beiden Wochen weiter Rücksicht nehmen. Gleichzeitig werden die Kandidaten jetzt verstärkt um die Mitte werben und vor allem der angriffslustige Sarkozy auf das Fernsehduell mit Hollande hoffen, um doch noch das Unmögliche möglich zu machen. Was allerdings nach diesem Wahltag klar ist: Die Franzosen und ihre Nachbarn werden auch in den kommenden Tagen keine Auskunft darüber erhalten, was kommt, wenn das Traumgebäude, das die Politiker mit Hingabe zusammengezimmert haben, noch in diesem Jahr platzt, weil für eine Politik des alle umsorgenden Staates das Geld fehlt. Ob Hollande oder Sarkozy: Gleich welcher Kandidat die Wahl gewinnt, er wird das tun müssen, was beide in ihren Programmen lieber nicht erwähnen: Ausgaben im Staat radikal kürzen. Statt den Staatsapparat weiter aufzublähen, wird man zum Beispiel darüber reden müssen, warum Frankreich rund 90 Beamte pro 1000 Einwohner beschäftigt, Deutschland dagegen ohne Schwierigkeiten mit 40 weniger auskommt.
Noch kann man über sinnvolle Strukturreformen nicht mit dem Volk debattieren – das ist neben dem guten Abschneiden der Populisten die schlechte Nachricht des Wahlgangs.