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Abzug aus Afghanistan

Christoph Hasselbach19. April 2012

Die NATO-Staaten wollen ihre Afghanistan-Mission möglichst schnell beenden. Wenn sie nicht aufpassen, könnten sie alles verlieren, meint Christoph Hasselbach, DW-Korrespondent in Brüssel.

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Es ist noch nicht lange her, da galt bei der NATO der Grundsatz, die Afghanistan-Mission werde so lange dauern wie nötig. Die Kampftruppen würden erst dann abziehen, wenn afghanische Sicherheitskräfte sie ersetzen könnten. Dies gilt zwar offiziell auch jetzt. Aber die NATO rechnet sich die Wirklichkeit schön, weil sie möglichst schnell raus will aus Afghanistan. Am vergangenen Sonntag konnten Taliban-Kämpfer unbehelligt bis ins Zentrum des hochgesicherten Kabul vordringen und von dort aus Regierungsgebäude, westliche Botschaften und sogar das Camp Warehouse der internationalen Schutztruppe unter Beschuss nehmen. Der militärische Nutzen der Aktion mag gering gewesen sein, die symbolische Wirkung dagegen ist hoch. Wenn der Angriff während der Präsenz von rund 130.000 ausländischen Soldaten möglich war, was passiert erst, wenn sie das Land verlassen haben?

Doppelter Druck auf Politiker

Und doch, NATO-Vertreter und Minister der Bündnisstaaten überschlagen sich geradezu mit Lob für das “professionelle Verhalten“ der afghanischen Sicherheitskräfte. Die Wahrheit ist: Egal, wie die militärische Situation sein mag, “das Rennen zum Ausgang“, vor dem NATO-Generalsekretär Rasmussen immer gewarnt hat, hat bereits begonnen. Die Teilnehmerländer sind die Mission gründlich leid. Die Bevölkerung, ob in den USA, Deutschland oder anderswo, fragt sich, ob die menschlichen und materiellen Opfer den Einsatz wert waren - und die Menschen kommen offenbar mehrheitlich zu einem negativen Ergebnis. Dazu kommt, dass die Schutztruppen in Afghanistan immer mehr als Besatzungstruppen empfunden werden. Die jüngsten Bilder von Leichenschändungen durch amerikanische Soldaten haben diesen Eindruck noch einmal verstärkt. Auch deshalb drängt der afghanische Präsident Karsai auf einen beschleunigten Abzug. Diesem doppelten Druck kann sich keine Regierung entziehen.

Es wird weiter Geld kosten

Die große Gefahr ist nun, dass sich die westlichen Staaten in blinder Flucht davonmachen und dabei alles verlieren, was sie unter so großen Opfern in Afghanistan errungen haben. Anfangs war sogar vom Ziel demokratischer Strukturen die Rede, von Frauenrechten. Jetzt ist man schon froh, wenn kein Bürgerkrieg ausbricht. Aber selbst eine grundlegende Stabilität gerät in Gefahr. Am Abzug bis Ende 2014 ist nicht mehr zu rütteln, nicht aus militärischen, sondern aus politischen Gründen. Aber auch wenn man das akzeptieren muss, ist zumindest zweierlei notwendig: Der Abzug muss insgesamt nach einem großen Plan koordiniert werden. Bisher sieht es eher danach aus, als würde jedes Land für sich handeln. Und: Den Bündnisstaaten muss klar sein, dass damit das Kapitel Afghanistan für sie nicht beendet sein wird. Die Finanzierung und Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte bleibt auf Jahre entscheidend. Auch dann ist zwar eine gute Zukunft Afghanistans nicht hundertprozentig garantiert. Aber ohne dieses Engagement wird Afghanistan mit Sicherheit den Taliban erneut in die Hände fallen. Und dann würde sich erst recht die Frage stellen: Wozu all die Opfer?