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Das neue Verhältnis der Politik zur Autoindustrie

Boehme Henrik Kommentarbild App
Henrik Böhme
9. September 2020

Früher war mehr Lametta. Das dürften die Chefs der deutschen Autokonzerne gedacht haben nach ihrer jüngsten Konferenz mit der Bundeskanzlerin. Denn die hielt die Taschen zu. Und das ist gut so, meint Henrik Böhme.

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IAA 2019 - Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

Es ist noch gar nicht lange her, da lief das so: Die Herren Autobosse marschierten im Kanzleramt ein, bauten eine große Drohkulisse auf mit hunderttausenden Jobs, die auf der Kippe stünden, wenn neue Abgasgrenzwerte beschlossen werden sollten oder die Folgen der Weltfinanzkrise abzufedern waren. Heraus kamen sie dann entweder mit einer Abwrackprämie im Gepäck oder der Zusage der Kanzlerin oder des Kanzlers, man werde sich in Brüssel für genehmere Grenzwerte stark machen.

Heute läuft das anders. Endlich, muss man sagen. Nach dem jüngsten einer Reihe von Autogipfeln - natürlich ein extrem übertreibender Begriff, weil mittlerweile alle möglichen Treffen im Kanzleramt "Gipfel" sind - blieb es bei Arbeitsgruppen, die Dinge prüfen sollen. Zum Beispiel, wie ein "marktwirtschaftliches Konzept" aussehen könnte, mit der das Eigenkapital der besonders betroffenen Zulieferunternehmen gestärkt werden könnte.

Zulieferer im Fokus

Allein da lassen schon zwei Dinge aufhorchen: Zum einen die Betonung auf die Marktwirtschaft - man wähnte sich ja in der ganzen Corona-Rettungspolitik mit den Milliarden und Abermilliarden an staatlichen Hilfsgeldern schon zurück auf dem Weg in die Planwirtschaft.

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion
Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Zum anderen: Dass plötzlich die Zulieferer im Mittelpunkt der Überlegungen stehen und nicht die Hersteller. Denn deren Lage ist in der Tat bedrohlich. Das hat zum einen mit dem Transformationsprozess zu tun, in dem die Autoindustrie insgesamt steckt und der sie gewaltig durchschüttelt. Denn klar: Wer bislang zum Beispiel Motorgehäuse herstellt, der wird bald weniger zu tun haben, wenn immer mehr Elektroautos von den Bändern rollen.

Zudem sind es die Zulieferer, die von den Herstellern stets massiv unter Druck gesetzt werden - nicht immer mit fairen Mitteln - um die Teile noch ein paar Euro billiger zu liefern - nur damit die Hersteller selbst ihre harten Sparvorgaben erfüllen können.  

Von Auto- und Maschinenbauern

Natürlich hat die deutsche Autoindustrie einen großen Anteil an der Wertschöpfung im Lande und somit daran, wie gut es diesem Land geht. Aber man hatte sich eben auch sehr bequem eingerichtet in der Komfortzone und geglaubt, das werde immer so weitergehen - während draußen andere, zunächst noch belächelt, die neue Richtung vorgaben. Und als es dann noch mit dem Tricksen und Täuschen losging - Stichwort Dieselgate - schmolz ein Großteil der Bewunderung für die Vorzeigebranche dahin wie Schnee in der Frühlingssonne. Offenbar auch im Kanzleramt.

Apropos Vorzeigebranche: Auch der Maschinenbau oder die Elektrotechnik sind solche deutschen Vorzeigebranchen, die ebenfalls hunderttausenden Menschen Arbeit geben - und genauso von der Corona-Pandemie getroffen wurden. Im Kanzleramt hat man sie früher schon eher selten gesichtet, obgleich natürlich auch sie Lobbyarbeit betreiben. Aber hört man vom Maschinenbau, der in diesem Jahr mit einem Produktionsrückgang von wenigstens 17 Prozent rechnet, den Ruf nach einer Abwrackprämie?

Staatsgeld auf Dauer hilft niemandem

Der Staat hat schließlich die Taschen weit geöffnet mit seinen Konjunktur-Rettungspaketen, da haben die Maschinenbauer was davon - und die Autohersteller ebenso. Immerhin zwei Milliarden umfasst ein spezielles Förderprogramm für die Autokonzerne, damit sollen Innovationen in neue Technologien gefördert werden. Auch bei der Produktion von Batterien für Elektroautos hängt sich der Staat mit rein.

Nein, die Autoindustrie sollte sich davor hüten, sich zu sehr in die Abhängigkeit des Staates zu begeben. Staatsgeld auf Dauer hilft niemandem: Die viele Jahrzehnte subventionierte deutsche Steinkohleindustrie darf als Beispiel gelten. Natürlich musste man den Beschäftigten helfen. Aber einen echten Strukturwandel hat es im Ruhrgebiet nicht wirklich gegeben.

So ist es auch gut, dass nun Arbeitsgruppen über marktwirtschaftliche Konzepte nachdenken - und somit der von Sozialdemokraten, Grünen und der Metall-Gewerkschaft geforderte staatliche Beteiligungsfonds vom Tisch ist. Man darf also gespannt sein, was auf dem nächsten "Gipfel" stattdessen auf dem Tisch liegt.                

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58