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Blickt nach oben!

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
5. April 2017

Zwei Drittel der Bundesliga stecken mitten drin im Abstiegskampf. Die Orientierung nach unten ist dennoch der völlig falsche Weg, meint DW-Sportredakteur Joscha Weber und empfiehlt mehr Optimismus.

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Fussball Bundesliga - FC Ingolstadt 04 - 1. FC Köln 2:2 - Trainer Maik Walpurgis
FCI-Trainer Walpurgis macht es vor: Sein Blick geht nach oben - es bleibt ihm eigentlich auch nichts anderes übrig.Bild: picture-alliance/nordphoto/Schreyer

Es sind die Wochen der Moralpredigten: Es geht um alles, um die Existenz. Zerreißt Euch für den Verein, sonst ist alles vorbei. Auch nach einem Sieg bloß nicht abheben, es geht nur gegen den Abstieg. So oder so ähnlich hört man derzeit Trainer, Manager, Spieler und sogar Fans von zwölf abstiegsbedrohten der insgesamt 18 Bundesligaclubs sprechen. Alle haben dabei nur einen Fokus: den drohenden Abstieg abwenden. Ein grober Fehler.

In der Sportpsychologie ist es eigentlich ein alter Hut: Wer für etwas spielt, spielt besser. Wer gegen etwas ankämpft, spielt schlechter. In vielen Lebenslagen sind Menschen motivierter, wenn sie ein positives Ziel vor sich haben, weil sie dies euphorischer und leidenschaftlicher macht. Untergangsszenarien zu vermeiden sind dagegen eine völlig andere psychologische Baustelle. Der archaische Kampf gegen das Ende, den Abstieg, kann zwar durchaus auch in gewisser Weise ein Motivator sein, denn es geht schließlich um die nackte Existenz - oder im Falle der Fußballer um den drohenden Abstieg in die weit weniger lukrative 2. Bundesliga. Aber der anspornende Effekt, das Unheil doch noch irgendwie abzuwenden, wirkt meist nur kurzfristig.

Wenn die Abstiegsangst alles lähmt

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DW-Sportredakteur Joscha Weber: "Lähmender Realismus prägt den Diskurs im Abstiegskampf"

Denn wochenlang gegen das Aus zu kämpfen, ermattet uns und selbst junge Leistungssportler in ihren besten Jahren sind vor diesem psychologischen Effekt nicht gefeit. Dann ist in der Fußballsprache von "Blockade" die Rede, von "Selbstaufgabe", vom "Schreckgespenst Abstieg", das alle verunsichert. Besser wäre ein Weg, der in der Fußballwelt verpönt ist: der Blick nach oben. Denn im Abstiegskampf prägt lähmender Realismus den Diskurs, phrasenhafte Durchhalteparolen werden hinausposaunt und ambitioniertere Ziele als im nächsten Spiel irgendwie zu punkten, werden als Spinnereien verworfen, die nur die Konzentration auf das scheinbar Wesentliche stören: den Kampf gegen den Abstieg.

Warum eigentlich sollten Fußballer nicht umgekehrt um ein weiteres Jahr Bundesligazugehörigkeit kämpfen dürfen, mit allen positiven Effekten, die dies mit sich bringt? Warum kann man auf Platz 14 stehend nicht einen einstelligen Tabellenplatz als motivierendes, weil positives Ziel für das Saisonfinale ausgeben ohne gleich als Tagträumer beschimpft zu werden? Hier liegt viel sportpsychologisches Optimierungspotenzial im heute angeblich so minutiös auf Erfolg getrimmten Ballbetrieb.

Das Ingolstädter Modell

Und wie es geht, zeigt aktuell ausgerechnet ein schon totgesagter Verein: der FC Ingolstadt. Ihr Abstand zum rettenden Ufer schien bereits zu groß, die meisten Experten schrieben sie ab. Nicht der Trainer: "Ich bin davon überzeugt, dass wir den Klassenerhalt schaffen", sagte Maik Walpurgis mit simpler Klarheit und sendete damit ein positives Signal an sein Team: Ihr habt nichts zu verlieren, nur etwas zu gewinnen - und ich glaube an Euch. Zwei Siege aus den letzten beiden Spielen sind die jüngste Bilanz dieser Verbaltaktik - und vielleicht ja auch ein Modell für den einen oder anderen Konkurrenten.