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Aufbruch nach Schwarz-Grün

2. Mai 2016

Sie waren sich spinnefeind, doch jetzt haben sie sich zum Koalieren gern. Paktiert haben sie schon in den Kommunen, nun kann es auch im Bund bald ernst werden für eine neue politische Farbenlehre, meint Volker Wagener.

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Schwarz-Grün / Stecker / Symbolbild / Sondierungsgespräche / Koalitionsverhandlungen
Bild: picture-alliance/dpa

Irgendwann, in einigen Jahren, wird das, was gerade in Baden-Württemberg politisch auf die Bühne gebracht wird, als eine neue Ära klassifiziert werden. Als die Schwarz-Grüne nämlich. Der schon seit einer Legislaturperiode amtierende grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat eine kleinere CDU an seiner Seite. Wer hätte das gedacht?

Das ist eine weitere großpolitische Wellenbewegung in Deutschland, die auf Bundesebene mit der führenden Rolle der "Staatspartei" CDU begann, ohne die zwei Jahrzehnte keine Regierung gebildet werden konnte. Ende der 60er Jahre folgte der Übergang in eine fast 14-jährige sozialdemokratische Reform-Ära, bevor dann 1982 die Kohl-Regentschaft folgte. Die Kanzlerschaft Gerhard Schröders ab 1998 war das Debüt von Rot-Grün und auch Angela Merkel ab 2005 brauchte Koalitionspartner: erst die Sozialdemokraten, später die Liberalen und dann wieder die SPD. Doch nie - außer in den Kommunen - waren sich CDU und Grüne so nah, dass sie sich getraut hätten.

Die verborgenen Gemeinsamkeiten

Ausgerechnet in Hessen, in dem die CDU als besonders rechts und die Grünen als ausgesprochen links gelten, feierte das atypische Bündnis 2014 in einem Flächenland Premiere. Und jetzt traut sich die CDU in Baden-Württemberg sogar als Juniorpartner unter die Richtlinienkompetenz eines grünen Ministerpräsidenten. Undenkbar noch vor kurzem und doch schon so normal. Erstaunlich.

Was die beiden scheinbar ungleichen Partner verstärkt zusammenführt, ist - jenseits der Mehrheitsarithmetik - die späte Entdeckung ihrer Bürgerlichkeit. Der Politologe Franz Walter spricht sogar von der "Wiedervereinigung des deutschen Bürgertums". Das war jahrzehntelang anders: Man wollte gar nicht zueinander passen. Weder inhaltlich, noch rhetorisch und schon gar nicht habituell, waren sich Grüne und Schwarze auch nur ansatzweise ähnlich. Die CDU stand in Treue fest zu ihrem marktliberalen Mehrheitsbeschaffer FDP. Die Grünen wollten entweder radikal sein oder lebten ihren "inneren Sozialdemokraten". Die CDU war in den 1980/90er-Jahren für die Grünen das Feinbild schlechthin. Es gab kaum Gegensätzlicheres im Deutschen Bundestag zu besichtigen als die lila Latzhosen und Zauselbärte der Grünen und die mausgrauen Anzüge und Hornbrillen der CDUler. Alles vorbei: Die Union ist moderner, die Grünen sind normaler geworden. Die einen halten Schwulsein nicht mehr für eine Krankheit, die anderen haben das Gewaltmonopol des Staates längst akzeptiert. Es ist wie beim Familientag: Die konservativen Väter treffen ihre Revoluzzer-Kinder.

Wagener Volker Kommentarbild (Foto: AppApp - Wagener Volker 1134 Latin Bonn 2015 03 12)
DW-Redakteur Volker Wagener

Eine strategische Partnerschaft

Und: Grün ist Mainstream. Alle wollen grüne Politik. Insofern sind die Grünen die wahre Volkspartei. Auch die CDU gibt sich ökologisch. Und die Grünen? Sie haben realisiert, woher sie kommen: Sie sind Kinder des Bürgertums. Mehr noch: Sie sind gebildete Besserverdiener. Der FDP näher, als sie zugeben würden und damit akzeptabel geworden für die CDU. Was sich in Stuttgart gerade zuträgt, ist so etwas wie eine späte Versöhnung der Generationen. Die Staatspartei CDU und die Protestpartei die Grünen bilden - soziologisch gesehen - den gesellschaftlichen Nukleus Deutschlands ab. Auch weil die SPD an Schwindsucht leidet, die FDP aktuell keine Größe ist und die Linke nicht weiß, wie Linkssein im Kapitalismus aussehen soll.

Schwarz und Grün ist auch deshalb eine realistische Option für Berlin, weil sie sich strategisch brauchen. Mit der CDU an ihrer Seite werden die Grünen Abschied nehmen müssen von Resten ihrer Bekenntnisprogrammatik. Umgekehrt braucht die Union das urbane Standbein der Grünen. In den bunten Metropolen ist die grüne Partei zuhause, genau dort, wo die CDU, die Partei des ländlichen Raumes, fremdelt.

Auch der große Hang der Deutschen zum Konsens wird beide Parteien früher oder später zusammenführen. Die politische Großwetterlage hat sich verändert: Schwarz-Grün ist en vogue. Es geht nicht mehr um links oder rechts. Es geht um die Verträglichkeit der Ökonomie mit der Ökologie. Es geht um Maß und Mitte. Und ganz nebenbei könnte ein solches Bündnis auch ein politisches Bollwerk gegen den Trend zum Rechtspopulismus werden.

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Volker Wagener Autor für DW Programs for Europe