Argentiniens Präsident muss jetzt liefern
Das Elend Argentiniens steht buchstäblich vor der Tür: Weihnachten rückt näher, und sechs von zehn Kindern leben in Armut. 15,9 Millionen Menschen, mehr als ein Drittel der Bevölkerung, werden zum Fest der Liebe kaum über das Notwendigste verfügen, um über die Runden zu kommen.
Dies ist die traurige Realität eines Landes, das Nahrungsmittel für 400 Millionen Menschen auf der ganzen Welt produziert. Wieder befindet sich Argentinien in einer schweren Krise, auch wenn die Talsohle von 2001 noch nicht erreicht wurde. Genau wie die Volkswirtschaften anderer Länder Lateinamerikas befindet sich Argentinien in einem Teufelskreis aus Armut, Verschuldung und noch mehr Armut. Die Kluft zwischen den Vermögenden und denjenigen, die nichts mehr haben, wird immer größer. Die Proteste in den Ländern Lateinamerikas sind ein deutliches Zeichen der Unzufriedenheit der Menschen mit der herrschenden Klasse, die sich ihren Forderungen gegenüber taub stellt.
Große Herausforderungen, hohe Erwartungen
Das ist der Hintergrund, vor dem der Peronist Alberto Fernández, der neue Präsident Argentiniens, an diesem Dienstag sein Amt antritt. Von ihm erwartet das Land dringende, vor allem wirtschaftliche Reformen, die Hunger und Not stoppen können. Dabei ist eine paternalistische Politik, die nur die Abhängigkeit vom Staat verstärkt, aber keine Arbeitsplätze schafft und Investitionen fördert, nicht die Lösung. Es sind stattdessen Ideen und Konzepte gefragt, die sich positiv auf das soziale Gleichgewicht der Gesellschaft auswirken - zweifellos eine große Herausforderung für Fernández und sein Kabinett. Argentinien braucht mehr denn je innovative politische Ideen, Pragmatismus und konkrete Erfolge.
In diesem Zusammenhang zeigt die Ernennung von Martín Guzmán zum Wirtschaftsminister, dass die neue Regierung versucht, schnell eine Einigung über die Schulden zu erzielen, während das Land Zahlungen verschiebt. Dies könnte, falls es intelligent ausgehandelt wird, ein Ausweg aus der volkswirtschaftlichen Zwangslage Argentiniens bedeuten. Sollte Fernández der Versuchung widerstehen, oberflächliche oder allzu unflexible Reformen durchzusetzen, und stattdessen den Konsens suchen, könnte er als Präsident durchaus positive Akzente setzen.
Kann Fernández seine Vizepräsidentin zähmen?
Es ist klar, dass sich die Probleme Argentinien nicht innerhalb von sechs Monaten oder einem Jahr lösen lassen. Doch der Peronismus scheint - wieder einmal - die Hoffnung geweckt zu haben, dass diese Regierung endlich diejenige sein wird, die die Probleme richtig anpackt. Dabei hat der neue Präsident aber wenig Spielraum: Die Argentinier sind mittlerweile mehr als ungeduldig und werden eine weitere Enttäuschung nicht tolerieren.
Zusätzlich hat Fernández einen Risikofaktor gleich neben sich in der Regierung: die einflussreiche Vizepräsidentin Cristina Kirchner. Ihr Versuch, alle gegen sie laufenden Ermittlungsverfahren wegen Korruptionsvorwürfen mit einem Streich abzuwürgen, könnten Fernández' gute Absichten konterkarieren.
Auch in anderen Justizfällen, wie dem ungeklärten Tod des Sonderstaatsanwalts Nisman im Jahr 2015 und dem ungesühnten Bombenanschlag auf das AMIA-Gebäude im Jahr 1994, erwarten die Argentinier, dass eine unabhängige Justiz durchgreift und sicherstellt, dass kriminelle und korrupte Netzwerke, auch auf Regierungsebene, nicht straflos davonkommen. Der gelernte Rechtsanwalt Fernández muss die Balance halten zwischen allen - linken wie rechten - Flügeln des Peronismus, die er und seine Vizepräsidenten repräsentieren.
Armut mindern, das Gesetz respektieren
Die Liste der Herausforderungen ist lang. Und deswegen muss die neue Regierung konsequent am Wiederaufbau des Landes arbeiten. Ein wichtiger Lackmustest ist dabei der Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz. Die Menschen haben Fernández gewählt, damit er sie aus dem wirtschaftlichen Tief herausführt und ein Präsident aller Argentinier ist. Er hat jetzt vier Jahre Zeit, zu beweisen, dass er das Vertrauen verdient, das die Mehrheit der Argentinier in ihn gesetzt haben.