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Gesellschaft

Bedrohte Artenvielfalt bei den Corona-Masken

13. März 2021

Strengere Regeln haben die Deutschen innerhalb kürzester Zeit uniformiert. Alle Gesichter sehen plötzlich irgendwie gleich aus. Marcel Fürstenau trauert der Anfangsphase der Pandemie nach.

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Marcel Fürstenau mit selbst genähter Corona-Maske
Der Autor mit seiner geliebten Corona-Maske, die er jetzt beim Einkaufen oder in der Bahn nicht mehr tragen darfBild: Privat

Angela Merkel trägt jetzt oft weiß, wenn sie alle paar Wochen nach ihrem Treffen mit den Regierungschefs der 16 Bundesländer in einer Pressekonferenz die neusten Corona-Vorschriften verkündet. Die Kanzlerin präsentiert sich dann mitunter sogar im Partnerlook, denn auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller wurden schon damit gesichtet: mit einer weißen Maske, die an einen Filter für Kaffeemaschinen erinnert. Sie soll besonders gut vor der gefährlichen Infektionskrankheit schützen.

Berlin I Angela Merkel verkündet Verlängerung des Lockdowns
Angela Merkel (M.) und Markus Söder (l.) tragen weiß, nur Michael Müller (r.) hält sich hier nicht an die KleiderordnungBild: Michel Kappeler/REUTERS

Ihr Name klingt so technokratisch wie sie aussieht: FFP2-Maske. Die Buchstaben stehen für Filtering Face Piece. Seit Januar läuft halb Deutschland damit durch die Gegend, muss vor allem beim Shoppen damit Mund und Nase bedecken. Alternativ sind die blassblauen medizinischen Masken erlaubt, die vor Corona außerhalb von Operationssälen in Krankenhäusern in Europa kaum zum Einsatz kamen. Jetzt aber sieht man sie überall in Supermärkten und Bäckereien. Oder in Bahnen und Bussen. Auch da darf nämlich nur rein, wer sich mit einem dieser beiden Fetzen aus Vliesstoff seine mehr oder weniger schöne Visage schmückt.

Not macht erfinderisch

So ändern sich die Zeiten und mit ihnen die Menschen. Apropos: Corona ist schlimm und die Masken sind dringend nötig - aber wie schön bunt und fantasievoll war doch das erste Jahr der Pandemie! Als man noch mit irgendeiner Maske seine Brötchen kaufen oder im Zug zur Arbeit fahren durfte. Der März 2020 war in Deutschland der Monat, als die Menschen in Deutschland über Nacht zu einem Volk von Näherinnen und Handwerkern mutierten. Weil es auf die Schnelle kaum Schutzmasken gab, bastelten sich die Deutschen welche oder kauften Produkte Marke Eigenbau, die es plötzlich an jeder Ecke gab. Not macht eben erfinderisch. 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
DW-Redakteur Marcel Fürstenau ohne MaskeBild: DW

In Windeseile verwandelte sich die Republik in einen Maskenball, wie man ihn noch nie erlebt hatte. Vermummungen aus Baumwolle, aus Polyester, aus Plexiglas. Rot waren sie, grün, blau und gelb, lila, orange oder alles zusammen. Man sah Karos, Herzen, Haifischzähne, Zungen. Masken konnten ein Statement sein und brachten die Menschen einander näher - trotz Abstandsgebot. Mein erster Mund-Nasen-Schutz, so der offizielle Name, war zwar alles andere als farbenfroh, im Gegenteil: schwarz-weiß mit einem Band, das man hinter dem Kopf zu einer Schleife binden muss. Trotzdem war die Maske im doppelten Sinn des Wortes Gesprächsstoff.

"Bitte tauschen Sie mit mir meine Maske"

Das Geheimnis war ihr Motiv: lauter Noten und ein Violinschlüssel. Und wenn ich die Maske umdrehte, kamen die Tasten eines Klaviers zum Vorschein. Jeden Tag, wirklich jeden, sprachen mich wildfremde Leute darauf an. Die Maske stammt von einer mir unbekannten Kundin eines Pianohauses, wo ich sie für zehn Euro gekauft habe. Eine Supermarkt-Kassiererin hätte so gerne die gleiche für ihren Mann gehabt. "Der spielt Klavier." Mein schönstes Erlebnis war die junge Frau am Bahnsteig, die mir ihre Maske entgegenstreckte: "Bitte tauschen Sie mit mir meine Maske, ich bin Musiklehrerin."

Und heute? Verstaubt die einst so bewunderte und begehrte Maske. Sie lagert auf einer filigranen Eisenskulptur, die aussieht wie ein Reiher. Das kleine Kunstwerk steht in meinem Flur auf einer hellbraunen Kommode. So war beim Verlassen des Hauses garantiert, dass ich das gute Stück nicht vergaß. Mitunter werde ich wehmütig, wenn ich sie da so nutzlos auf ihrem Ständer sehe. Und fühle mich schlecht, weil ich ihr seit Monaten untreu bin. Ihre unattraktive Nebenbuhlerin liegt direkt daneben: die weiße FFP2-Maske.

Selbst genähte Maske des DW-Journalisten Marcel Fürstenau
Diese formschöne Corona-Maske hat schon bessere Zeiten erlebt; seit Monaten kommt sie nicht an die frische Luft Bild: Privat

Eine zivile Corona-Armee, die sich unauffällig tarnt

Ihresgleichen begegne ich nun tagtäglich tausendfach: beim Gemüsehändler auf dem Markt, in der Drogerie, an der Imbissbude. Überall sehe ich sie oder ihre hässliche Schwester, die medizinische Gesichtsmaske. Deutschland hat sich in eine zivile Armee verwandelt, die sich unauffällig tarnt. Uniformiert folgt diese Truppe den fast täglich neuen Befehlen aus Politik und Wissenschaft. Mal sind es Lockerungen, mal Verschärfungen. Was immer gleich bleibt im alltäglichen Corona-Trott der eingeschränkten Bewegungsfreiheit, sind die Masken.

Vorbei die fast schon anarchischen Zeiten, in denen jede und jeder trug, was gefiel. Die Gegenwart aber ist trostlos und langweilig. Wie auch in der Natur Tiere und Pflanzen vom Aussterben bedroht sind, ist die Artenvielfalt der Masken geradezu dramatisch gefährdet. Und weil wir angesichts schleppender Impfungen und steigender Infektionszahlen durch Corona-Mutanten wohl noch lange mit der Pandemie leben müssen, suche ich schon länger nach kreativen Lösungen aus dem Masken-Dilemma.

Internet-Suche: "FFP2-Maske mit Muster"

Keine tragen und endlich wieder Gesicht zeigen, ist leider (noch) keine Option. Im Internet suche ich nach Herstellern von farbigen FFP2-Masken und finde welche - wirklich! "Das ist meine Rettung!", denke ich in der ersten Euphorie. Als ich aber die Motive erblicke, ist die Enttäuschung groß: hellrosa, mausgrau, blau und schwarz… "Das kann doch nicht alles gewesen sein", hoffe ich und klickte auf andere Seiten - und siehe da! Es scheint sie tatsächlich zu geben: sichere Masken mit Dinosaurier-Motiv (für Kinder) oder solche mit Totenkopf (für Zyniker?). Da wird doch bestimmt auch was für mich dabei sein.

BdT - Coronavirus - Bayern
Die optische Vielfalt der Baumwollmasken war deutlich größerBild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Doch weit gefehlt! Aber aus einem anderen Grund. Es handelt sich nämlich gar nicht um FFP2-Masken, sondern um welche aus Baumwolle und Jersey. So schnell gebe ich jedoch nicht auf, klicke weiter und verfeinere meine Suche: "FFP2-Maske mit Muster." Die Trefferzahl ist überschaubar. Einige Hersteller preisen ihre Produkte branchenüblich reißerisch an: "Mit diesen Überzügen werden sie stylish!" Aber mit Blümchenmuster und Hundefratzen werde ich niemals auf die Straße gehen - dann doch lieber eine todlangweilige medizinische Maske…

Die Leute werden mich für einen Corona-Leugner halten

Stop! War da nicht von "Überzügen" die Rede? Das ist die Lösung! Warum bin ich nicht von selbst darauf gekommen? Ich muss die in Geschäfte, auf Märkten, in Bussen und Bahnen vorgeschriebenen Schutzmaske einfach nur unter meiner geliebten Baumwollmaske mit Noten und Violinschlüssel verstecken. Doch mein Glücksgefühl verfliegt sofort, weil mir schon wieder ein ernüchternder Gedanke kommt: Die Leute werden mich für einen Provokateur halten, schlimmer noch: einen Corona-Leugner. Die können ja nicht sehen, dass ich eine Schutzmaske trage…

Ich spüre schon ihre vorwurfsvollen Blicke und höre sie schnauben: "Sie müssen in Geschäften eine FFP2-Maske oder eine medizinische Maske tragen! Wo kommen wir denn hin, wenn jeder macht, was er will?" Bei dieser Vorstellung erlischt das letzte Fünkchen Hoffnung in mir. Ich muss mich wohl endgültig damit abfinden, in dieser Pandemie mein Gesicht meistens hinter der gleichen öden Fassade verstecken zu müssen wie alle anderen. Vielleicht sollte ich mich mit einem ganz anderen, irgendwie absurden Gedanken trösten: Ich trage die gleiche Maske wie Angela Merkel!

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland