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Klima: Immobilien in Deutschland erhalten oder neu bauen?

21. Oktober 2024

Was tun mit Gebäuden, die leer stehen? Abreißen ist nicht gut fürs Klima. Sanieren aber auch nicht. Zum Glück gibt es noch einen Weg.

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Eiermann-Bau in Apolda: Trassen für Gebäudetechnik und Heizstrahler unter der Decke sorgen für Strom, Daten und Wärme.
Trassen für Gebäudetechnik und Heizstrahler unter der Decke sorgen für Strom, Daten und Wärme. Alles lässt sich leicht an die Bedürfnisse der Nutzer anpassen Bild: Insa Wrede/DW

Der Bausektor ist der Elefant im Klimaraum, meinte schon vor einigen Jahren der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, ehemaliger Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung. Die Baubranche verursacht mehr als die Hälfte des Mülls und etwa 40 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland. Außerdem verschlingt sie Ressourcen: Allein in Deutschland fließen 90 Prozent der mineralischen und nicht nachwachsenden Rohstoffe in diesen Sektor.

Dabei belasten nicht nur Neubauten Umwelt und Klima, auch die Sanierung von bestehenden Gebäuden verbraucht Ressourcen, erhöht den Müllberg und verursacht Treibhausgase. Der jährliche Bauabfall in Deutschland entspricht rein rechnerisch dem Materialbedarf von knapp 430.000 Wohnungen, heißt es bei der unabhängigen "Bundesstiftung Baukultur" in Potsdam.

In leer stehenden Gebäuden ist viel CO2 gespeichert

Während in deutschen Großstädten Platzmangel und Wohnungsnot herrschen, sind in ländlichen Gebieten viele Immobilien ungenutzt. Allein im Bundesland Thüringen gibt es seit der deutschen Wiedervereinigung etwa 45.000 leerstehende Gebäude. Eines davon steht in Apolda, einer kleinen Stadt in der Nähe von Weimar, die bis zur Wiedervereinigung ein wichtiger Produktionsstandort für Textilindustrie und Maschinenbau war. 

 Die ehemalige Feuerlöscher-Fabrik: Eiermann-Bau in Apolda
Die ehemalige Feuerlöscher-Fabrik, ausgebaut von Egon Eiermann, stand lange Zeit leerBild: Insa Wrede/DW

Der Eiermann-Bau war ursprünglich eine Weberei. Später wurden hier bis 1994 Feuerlöschgeräte produziert. Ende der 30er Jahre erweiterte der Architekt Egon Eiermann das Gebäude. Auch wenn es am Ende nicht mehr gebraucht wurde - es wäre zu schade, das Industriedenkmal verfallen zu lassen.

Riesige, einfach verglaste Fensterfronten, eine ungedämmte Fassade, das Fehlen einer Heizungsanlage und anderer Gebäudetechnik machten eine Neunutzung der über 5000 Quadratmeter aber schwierig. 

Wie wenig ist genug?

Seit 2016 hat sich Internationale Bauausstellung Thüringen (IBA Thüringen) des Industriedenkmals angenommen und es unkonventionell zu einer Open Factory entwickelt. Dabei sollte nicht viel in die vorhandene Struktur eingegriffen werden und nur einfache und wieder rückbaubare Strukturen errichtet werden.

Das Leitmotiv war: Wie wenig ist genug? "Was wir nicht neu bauen sondern weiter- und umnutzen, emittiert auch keine schädlichen Treibhausgase", erklärt die Architektin Katja Fischer, Vorständin bei der Stiftung Baukultur Thüringen.

Auf einem der vier Geschosse des Gebäudes wurde eine besondere Idee verwirklicht. Wer hier sein Büro hat, sitzt in kleinen gläsernen Gewächshäusern, die in die wetterfeste Hülle der ehemaligen Fabrik gebaut wurden. Durch die riesigen blaugerahmten Fenster fällt sehr viel Licht in die Hallen. Im Winter wärmt die Sonne den Raum. Zusätzlich sorgen Deckenstrahlplatten für eine Grundtemperatur von mindestens 15 Grad in der Halle. 

Die Haus-im-Haus-Lösung - gläserne Büros wurden in der Halle aufgebaut
Die Haus-im-Haus-Lösung - gläserne Büros wurden in der Halle aufgebaut Bild: Insa Wrede/DW

Auch die Wärme von Computern, Lampen und Mitarbeitern sorgt in den gläsernen Büros für Wärme. Wem das nicht reicht, der kann mit Infrarotheizkörpern zusätzlich heizen. Das spart Energie, weil der Heizbedarf für diese kleinen Fläche sehr gering ist. Im Sommer sorgen reflektierende Vorhänge dafür, dass es nicht zu heiß wird.  

"Jeder kann selber entscheiden, wie warm er es haben möchte", sagt Elisa Dorn von der Stiftung Baukultur Thüringen. Sie arbeitet seit sechs Jahren in einem der Glasbüros. "Ich bin sehr glücklich darüber und ich kann mir im Moment nicht vorstellen, einen schöneren Arbeitsplatz zu haben".

Rück- und Umbau mitgedacht

Für Besprechungen wurden weitere Räume in die Halle gebaut. Wie große Würfel aus Holz mit drehbaren Wänden ermöglichen sie mehr oder weniger abgeschlossene Treffen. Das Problem der fehlenden Gebäudetechnik wurde über zentrale Trassen gelöst, die unter der Decke verlaufen und Strom und Daten liefern.  

Eiermann-Bau in Apolda: Holzkubus mit Drehtüren als Meetingraum
Drehtüren machen aus dem Holzkubus einen geschlossenen oder offenen Raum für MeetingsBild: Insa Wrede/DW

Bei allem wurde, soweit es möglich ist, in Kreisläufen gedacht. So sind die Einbauten, also Büro-Glashäuser und die Stromtrassen nicht in Beton gegossen. Die Folge: Gibt es einen neuen Bedarf, kann relativ leicht umgebaut werden und auch die Glasbüros lassen sich ab - und woanders wieder aufbauen.

Zudem wurde - ganz im Sinn des Klimaexperten Schellnhuber - auf klimafreundliche Ressourcen Wert gelegt: Statt Zement wurden Holz, Stroh, Lehm und einfache, reversible Verbindungen dieser Materialien eingesetzt. Selbst die Vorhänge sind aus Recyclingmaterial.

Der Weg zu den Glasbüros

Dabei war am Anfang nicht klar, wie das Eiermann-Gebäude genutzt werden kann. Zumal es keine Nachfrage in Apolda gab. Daher wurden zuerst in einer sogenannten Open Factory, einer offenen Fabrik, verschiedene Nutzungsmöglichkeiten ausprobiert.

Eine Zeit lang wurde in dem Gebäude gezeltet, zeitweise beherbergte das Egon-Hotel Gäste und es wurden Kinofilme gezeigt. Es gab einen Pingpong-Club, Ausstellungen und Veranstaltungen, eine Radiostation mit Berichten aus einer fiktiven Zukunft, ein Kochlabor für kulinarische Experimente sowie ein Forschungslabor. Bis sich schließlich die gegenwärtige Nutzung herausgeschält hat. 

Mittlerweile beherbergt der Eiermann-Bau eine kleine, gewerbliche Gemeinschaft. In einigen gläsernen Büros sitzen Mitarbeiter der Stiftung Baukultur Thüringen, die LeerGut-Agent:innen und des Lebenshilfe-Werks Weimar-Apolda. Sieben Büros stehen noch zur Verfügung. In den Hallen gibt es zum Teil Werkstätten, Ateliers, Ausstellungen und Veranstaltungen. "Heute sind drei Viertel der Flächen in Nutzung - also weit entfernt von keiner Nachfrage", so Katja Fischer.   

Eiermann-Bau in Apolda von außen
So sah die alte Feuerlöscherfabrik in Apolda aus. Rechts der Erweiterungsbau von Egon Eiermann, erkennbar an den viereckigen Fenstern, links der alte Teil des Gebäudes mit RundbögenBild: Insa Wrede/DW

Warum ohne Nachfrage umbauen

Bleibt die Frage, warum gerade in Apolda bei so viel Leerstand, so viel Mühe für ein altes Fabrikgebäude aufgewandt wird. "Es gibt Städte in Thüringen, die platzen aus allen Nähten", sagt Elisa Dorn. Beispielsweise zeige sich schon in der Nachbarschaft von Jena, dass Wohnraum knapp werde. Im direkten Umland stiegen die Preise für Immobilien. Selbst in Apolda würden die Immobilienpreise schon langsam anziehen, so Dorn.

Ein anderer Grund: In vielen Regionen Ostdeutschlands geht die Zahl der Einwohner zurück. Damit verschwindet auch lokale Infrastruktur, wie Einzelhandelsgeschäfte, Cafés und ähnliches - das macht die Regionen dann noch unattraktiver. Eine Hoffnung ist, dass Projekte wie der Eiermann-Bau helfen, kleinere Städte wieder lebenswerter zu machen. Das könnte Touristen anlocken und im besten Fall den Wegzug stoppen oder sogar neue Menschen in die Gegend locken.

Außerdem "geht es um mehr als den Gewinn einzelner Immobilienbesitzer", meint Fischer. "Es geht um eine lebenswerte Zukunft von uns allen innerhalb der planetaren Grenzen und dabei spielt Bestand nun mal eine zentrale Rolle". Der Bestand an Gebäuden sei wertvoll, ist Fischer überzeugt, im Hinblick auf den Städtebau, die Ortsgeschichte und oft sei er auch als Identitätsgeber wertvoll. 

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion