Solar Architektur Disch
4. November 2013Wer im "Heliotrop" am Freiburger Schlierberg zu Besuch ist, muss sich daran gewöhnen, dass die Landschaft vorbei zieht. Nicht wirklich schnell, aber doch spürbar - exakt in jenem Tempo, wie die Sonne am Himmel ihre Bahn zieht. Solararchitekt Rolf Disch hat das Haus gebaut. Und es richtet sich, wie der Name schon sagt, immer in Richtung der Sonne.
Mehr Energie als die Bewohner brauchen
So repräsentiert das Gebäude im Freiburger Süden seit Sommer 1994 ein Stück Baukunst der Zukunft. Von einer 14 Meter hohen tragenden Zentralsäule aus, in der sich eine Wendeltreppe verbirgt, gelangt man in die Räume. Spiralförmig sind sie in dem 18-eckigen Bau angeordnet und geben dem Gebäude damit die Form eines Baumes - unten die Säule, oben die Baumkrone. Doch das Design ist nicht das einzig Ungewöhnliche an diesem Objekt: Das Heliotrop war das erste "Plusenergiehaus" in Deutschland.
Disch hat sich diese Bezeichnung als Markenzeichen schützen lassen. Sie besagt schlicht, dass das Haus mehr Energie einfängt als seine Bewohner verbrauchen; das Haus ist folglich ein kleines Kraftwerk. Das mag unglaublich klingen, aber es funktioniert. Dem Heliotrop gelingt das mit einem sogenannten "Sonnensegel", einem schwenkbaren Solarpaneel auf dem Dach. Dieses liefert bis zu 6,6 Kilowatt Strom und speist davon den größten Teil ins öffentliche Netz ein. Zudem fangen die großen Fensterfronten, die immer in Richtung der Sonne stehen (es sei denn, man dreht sie bewusst heraus), auch viel Sonnenwärme ein.
Effizienz und Sonnenkraft sind das Rezept
Wesentliche Bestandteile dieses Konzepts sind neben der Solarstromanlage die Solarkollektoren, eine Wärmerückgewinnung aus der Abluft, so wie ein Erdwärmetauscher. Und weil die Rückspeisung der Photovoltaikanlage deutlich höher ist als der gesamte Energiebezug des Hauses, ergibt sich ein Überschuss. So finanziere das Plusenergiehaus sich selbst und garantiere zugleich "ein monatliches Energieeinkommen, eine solare Rente" sagt Disch, "aus Nebenkosten sind Nebeneinnahmen geworden".Große Solarsiedlungen sind erfolgreich
Längst ist das Heliotrop nicht mehr das einzige Plusenergieprojekt. Wenn Rolf Disch auf seinem "Sonnenschiff", einem langen Büro- und Ladengebäude unweit des Heliotrops an der Merzhauserstraße in Freiburg steht, kann er die 50 Plusenergiehäuser der "Solarsiedlung am Schlierberg" von oben überblicken. Sie alle gewinnen mehr Energie von der Sonne als die Menschen darin verbrauchen.
Diese Häuser freilich stehen fest und sind dabei natürlich nach Süden ausgerichtet. An der Sonnenseite sind sie großflächig mit hochwertigen Scheiben verglast. So reicht die Einstrahlung selbst an Wintertagen häufig aus, um angenehme Raumtemperaturen zu schaffen. Was hatte man Disch nicht alles gesagt, als er dieses Konzept vor Jahren entwickelte: "Die Immobilienleute haben mir alle abgeraten", erinnert er sich, "die haben alle gesagt, das geht nicht und vermarkten lässt sich das sowieso nicht."
Doch Disch behielt Recht. Das Konzept funktioniert, und verkaufen lassen sich solche Häuser auch. Die ersten Objekte wurden im Jahr 2000 bezogen. Längst hat Disch damit verlässliche Daten, was die Energiebilanz der Gebäude betrifft. "Der Wärmeverbrauch liegt in den Häusern bei durchschnittlich 25 Kilowattstunden pro Quadratmeter", sagt der Architekt, "inklusive Warmwasser." Zugleich aber gewinnt jedes Haus 32 Kilowattstunden je Quadratmeter Wohnfläche, wenn man den eingespeisten Solarstrom berücksichtigt. So bleibt in der Bilanz ein Plus übrig.
Umweltschützer Disch
Doch was treibt diesen Mann? Disch ist ein Pragmatiker. Einer, der die vornehmste Aufgabe eines Architekten darin sieht, dem Menschen im Einklang mit der Natur hochwertigen Lebensraum zu schaffen. Und weil er genauso sehr Ästhet ist, wie ein kreativer Kopf, kommen stets außergewöhnliche Lösungen dabei heraus. "Wir müssen auch die Urwälder unter dem Erdboden schützen", sagt er - und meint damit die fossilen Energien. Dieser Satz beschreibt bereits die eine Hälfte seiner Motivation.
Die andere Hälfte liegt im Widerstand gegen die Atomkraft begründet. Als Mitte der siebziger Jahre in Wyhl unweit von Freiburg ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte - die ersten Bäume in den Rheinauen waren schon gefällt - wurde auch Disch zum überzeugten Gegner dieser Technik. Und genau deswegen baut er heute nur noch Plusenergie-Häuser.
Sein Werdegang hat viele Facetten. Erst lernte er Möbelschreiner und Maurer, dann studierte er Bautechnik und Hochbau. Bevor er Solarhäuser entwickelte und realisierte, gewann er Autorennen - auch diese natürlich mit Sonnenkraft: 1987 war er Weltmeister beim Solarfahrzeugrennen "Tour de Sol" in der Schweiz. So hat Disch das Image der Solarstadt Freiburg, wo er 1944 geboren wurde, schon früh geprägt. Heute unterhält er ein Architekturbüro mit zehn Mitarbeitern. Wenn irgendwo das Wort Solararchitekt fällt, folgt meistens der Name Rolf Disch, Besucher aus aller Welt kommen regelmäßig zu Projektbesichtigung und Vorträgen vorbei.
Pionier für Baustil im 21. Jahrhundert
Unverdrossen, immer freundlich, immer zupackend, immer auch ein wenig hemdsärmelig kämpft er seit Jahren für den Baustil einer neuen Generation. Stets in der Gewissheit: Die Zukunft wird ihm recht geben. Denn Rolf Disch ist Optimist. Und er will mit seinen Häusern bewusst ein Zeichen setzen gegen die verbreitete Miesmacherei: "Wir jammern nicht über hohe Ölpreise, wir fordern nicht den Wegfall der Ökosteuer, wir hoffen auch nicht auf Energiekosten-Beihilfe vom Staat", sagt er gerne, wenn er von sich und den Bewohnern seiner Häuser spricht. Denn er weiss, dass es jeder selbst in der Hand hat, ob er sich von steigenden Energiepreisen überrollen lässt - oder aber durch kluge Architektur vorbaut.
Und weil die Energiepreise langfristig mit Sicherheit weiter steigen werden, dürfte das Plusenergie-Konzept in Zukunft sogar noch an Attraktivität gewinnen: "Auf eine Plusenergiebauweise zu verzichten, wird jeden Bauherren schon in den nächsten zehn Jahren teuer zu stehen kommen", hatte Disch schon vor einigen Jahren prophezeit. Lange bevor die Ölpreise erstmals über 100 Dollar pro Barrel kletterten.
Autor: Bernward Janzing
Redaktion: Gero Rueter