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Kleinparteien wollen auf den Stimmzettel

9. Juli 2021

87 kleine Parteien hatten die Hoffnung, bei der Bundestagswahl antreten zu können. Darüber entschied der Bundeswahlausschuss. Einige Entscheidungen sorgten für Kontroversen.

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Wahlschein Bundestagswahl 2013
Bild: Robert B. Fishman/dpa/picture alliance

Eigentlich ist an diesem Ort kein Platz für Emotionen. Aus Andreas Reiter platzt es dennoch heraus: "Und für den Scheiß habe ich nüchtern bleiben müssen. Danke dafür!" Reiter hatte soeben erfahren, dass seine Partei, die "Anarchistischen Pogo-Partei Deutschland", nicht zur Bundestagswahl im September zugelassen wird. Aus formellen Gründen: die entsprechenden Anträge waren nicht rechtzeitig per Post beim Bundeswahlleiter eingegangen.

Vor jeder Bundestagswahl in Deutschland versammelt sich einige Monate vor Wahltermin ein Gremium, der Bundeswahlausschuss, in einem schmucklosen Raum im Bundestag, um über das Schicksal kleinster Parteien zu entscheiden. Manche haben nur sieben Mitglieder, andere sind etwas größer mit an die 10.000 Parteimitgliedern. Sie tragen mitunter kuriose Namen, wie "Die Gerade Partei" oder "Die Germanische Partei für Frauen, Rechtsstaat, Naturschutz, Kinderförderung und demokratischer Liebe".

Bundeswahlleiter Georg Thiel
Der Jurist Georg Thiel ist seit 2017 BundeswahlleiterBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Es sind aber auch Parteien dabei wie der "III. Weg", der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. An zwei Tagen entscheidet der Bundeswahlausschuss unter der Leitung des Bundeswahlleiters Georg Thiel, welche Partei auf den Stimmzettel darf und welche nicht. Die beiden Sitzungen werden live im Internet übertragen. Am Donnerstag wurden bereits 21 Parteien zugelassen.

Deutschland ist kein Land mehr von wenigen Parteien

Eigentlich ist Deutschland eine parlamentarische Demokratie mit wenigen etablierten Parteien. Lange Zeit spielten nach der Gründung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg neuere Parteien überhaupt keine Rolle. Die Macht wurde je nach Wahlsieg unter der CDU, der SPD und der FDP aufgeteilt.

Erst in den 1980er Jahren kamen mit den Grünen und nach der Wiedervereinigung mit der Linken neue Parteien hinzu. 2013 gründete sich dann die Alternative für Deutschland, die mittlerweile die größte Oppositionspartei ist. Im Jahr 1972 traten gerade einmal acht Parteien zur Bundestagswahl an, bei der letzten Wahl 2017 waren es schon 42. Die sieben größeren Parteien CDU, CSU, SPD, Grüne, Linke, AfD und FDP abgezogen, macht das 35 Kleinparteien.

Infografik Kleinpartein bei der Wahl zum Deutschen Bundestag

Alle Kleinparteien scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Nur wer bundesweit fünf Prozent aller Stimmen erreicht, zieht in den Bundestag ein. Dennoch zeichnet sich in Deutschland ab, dass Bürger und Bürgerinnen vermehrt den Weg suchen, Kleinstparteien zu gründen und darüber ihre Interessen zu vertreten, statt auf die großen Volksparteien zu vertrauen.

Corona-Pandemie ein Thema in diesem Jahr

In diesem Jahr haben 87 Kleinparteien ihr Interesse beim Bundeswahlleiter angemeldet, auf den Stimmzettel aufgenommen zu werden. Das Prozedere folgt strengen Formalien, das deutsche Bundeswahlgesetz ist eines der bestreguliertesten der Welt. Per Post muss beim Bundeswahlleiter bis zu einer bestimmten Frist eine Beteiligungsanzeige eingegangen sein.

Außerdem müssen die angehenden Parteien genügend Mitglieder haben und öffentlich in Erscheinung treten. Auch das müssen sie belegen. Die Aufnahme auf den Stimmzettel ist wichtig für die Kleinparteien: Nur so haben sie eine Chance auf Parteienfinanzierung vom Staat und nur so können sie eine breitere Masse an Menschen erreichen.

Demo gegen Aufhebung des Mietendeckels in Berlin
Zum ersten Mal nicht zugelassen: die DKP, hier bei einer Demonstration gegen die Aufhebung des MietendeckelsBild: Mark Vorwerk/SULUPRESS.DE/picture alliance

Nach der Zulassung durch den Bundeswahlleiter geht die Arbeit erst richtig los: die Kleinparteien müssen Unterstützerunterschriften sammeln, um wirklich auf den Stimmzettel zu kommen. In diesem Jahr hat es die Corona-Pandemie den neuen Parteien besonders schwer gemacht. Wahlkampfstände waren teilweise verboten. Das machte es fast unmöglich, Unterschriften für die Unterstützerlisten zu sammeln. Der Bundestag senkte deshalb im Mai die Anzahl der benötigten Unterschriften deutlich: als Direktkandidat sind statt 200 nun nur noch 50 Unterschriften nötig, auf der Landesliste statt 2000 nur noch maximal 500.

Auch in der Sitzung des Bundeswahlausschusses selbst ist die Pandemie immer wieder Thema. Längere Zeit diskutierten die Mitglieder des Bundeswahlausschusses über die "Europäische Partei Liebe", kurz "Liebe". Zu Bedenken gab Bundeswahlleiter Thiel, dass die Partei seit der Gründung 2018 nicht mehr als 53 Mitglieder für sich gewinnen konnte.

Ein anderes Mitglied des Ausschusses, Hartmut Geil, warf ein: "Die vergangenen eineinhalb Jahre sind ja aber auch für Mitgliederwerbung und Öffentlichkeitsarbeit ausgefallen". Am Ende steht die Entscheidung: "Liebe" kommt auf den Stimmzettel.

Kontroverse um Entscheidungen

Nicht alle Entscheidungen des Bundeswahlausschusses verlaufen ohne Kontroversen. Am ersten Tag der Anhörung wurde rund die Hälfte der Kleinparteien abgelehnt. Darunter auch die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die laut Bundeswahlausschuss wiederholt ihren Rechenschaftsbericht zu spät abgegeben habe. Die Partei wurde zum ersten Mal seit ihrer Gründung 1968 nicht zugelassen. Auf Twitter spricht die DKP von einem "kalten Parteiverbot". 

Vier Tage hat die Partei nun Zeit, gegen die Entscheidung Klage beim Bundesverfassungsgericht einzulegen. Gleichzeitig gibt es unter Politikern und auf Twitter Prostest wegen der Entscheidung des Bundeswahlausschusses, die rechtsextreme Partei "III. Weg" zuzulassen.

Die Partei "III. Weg" verfüge über eine "neonazistische und faschistische Ideologie", sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider. Der Partei gehe es wahrscheinlich darum, sich durch das Parteienfinanzierungssystem festzusetzen und so im politischen Spektrum erkennbar zu machen.

Bundeswahlausschuss: Keine Inhalte, nur Formalien

Bundeswahlleiter Thiel bekräftigte jedoch, dass der Bundeswahlausschuss nur formale Kriterien für die Anerkennung als Partei prüfe – aber keine inhaltlichen Fragen. Das Bundeswahlausschuss sei nicht berechtigt, die Verfassungsmäßigkeit der Parteien zu überprüfen.

In diesem Sinne leitete Georg Thiel denn auch durch die zwei Tage des Bundeswahlausschusses. Gleich zu Beginn forderte er die angereisten Vertreter ihrer Parteien auf, keine Wahlkampfreden zu halten. Das müsse auf der "politischen Bühne" geschehen.

Ganz emotionslos blieb es denn aber nicht: Nach dem Gefühlsausbruch des Vertreters der "Anarchistischen Pogo-Partei Deutschland" musste auch Thiel etwas schmunzeln. Nach zwei Tagen Ausschuss steht fest: Von den 87 angetretenen Kleinparteien, die nicht bereits in einem Landtag vertreten sind, haben es 44 geschafft, meldet der Bundeswahlleiter. Diese Kleinparteien werden am 26. September auf dem Stimmzettel stehen, wenn sie nun die nötigen Unterstützerunterschriften zusammen bekommen.