Kirche: Staatsleistungen vor dem Aus?
13. Juni 2023Jedes Jahr fließen große Summen an die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland. Im vergangenen Jahr bekamen sie mehr als eine halbe Milliarde Euro vom Staat - aus Steuergeldern religiöser und nichtreligiöser Menschen. Es handelt sich dabei wohlgemerkt nicht um die Kirchensteuer, die der Staat für die Kirchen einzieht und an sie weiterleitet.
Um zu verstehen, warum über 600 Millionen Euro an die Kirchen gegangen sind, muss man mehr als zwei Jahrhunderte in der Geschichte zurückblicken. Während der napoleonischen Besetzung Deutschlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde eine weitgehende Trennung von Staat und Kirche beschlossen.
Bei der Abwicklung des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" wurden die Kirchen weitgehend enteignet, wurden Klöster und andere kirchliche Einrichtungen geschlossen oder gingen in den Besitz der deutschen Staaten über. Das wurde 1803 im sogenannten Reichsdeputationshauptschluss festgelegt.
Weil die Kirchen Geld und Ländereien an die Landesfürsten abgeben mussten, verpflichteten sich diese im Gegenzug, die Bezahlung der Priester und andere Kosten der Kirchen zu übernehmen. Bis heute bezahlen die Bundesländer als Rechtsnachfolger der Fürsten diese Entschädigungen.
Ausstieg beschlossene Sache – seit über 100 Jahren
Dabei ist eigentlich seit langem beschlossen worden, dass diese Zahlungen enden sollen. Schon 1919 wurde in der Weimarer Reichsverfassung festgehalten, dass die Dauerzahlungen durch eine Einmalzahlung beendet werden sollen. Dreißig Jahre später übernahm das Grundgesetz diesen Entschluss. Trotzdem wird weiter jedes Jahr gezahlt und vor allem steigen die Zahlungen beständig von gut 23 Millionen Euro im Jahr 1949 auf über 602 Millionen Euro in diesem Jahr.
Die Bundesländer seien eigentlich mit der Situation ganz zufrieden gewesen, sagt der Jurist Hans Michael Heinig. Sie hätten dadurch ja keine Ablösesumme zahlen müssen. "Die Kirchen waren ganz zufrieden, weil sie insolvente Schuldner hatten und regelmäßig diese Staatsleistungen flossen". Nur finanzwirtschaftlich nachhaltig sei diese ganze Praxis natürlich nicht gewesen, "weil wir die Ablöseleistung schon lange hätten erbringen können", so der Kirchenrecht Experte Heinig, der an der Universität Göttingen öffentliches Recht lehrt.
Die amtierende Bundesregierung möchte die Staatsleistungen allerdings beenden, was sie auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. So wurde zu Beginn der Legislaturperiode eine Arbeitsgruppe im Bundesinnenministerium ins Leben gerufen, in der Bund, Länder und Kirchen gemeinsam diskutieren. Noch in diesem Jahr wollen sie sich auf die Eckpunkte für eine grundsätzliche Regelung geeinigt haben. Es geht vor allem darum, ob eine einmalige Ablösesumme gezahlt wird und wie hoch diese sein soll. Und darum, wie lange die jährlichen Staatsleistungen daneben noch weitergezahlt werden.
Ablösesumme - es geht um viel Geld
Dabei geht es um viel Geld, wie der Gesetzentwurf erahnen lässt, der 2020 von den damaligen Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linkspartei in den Bundestag eingebracht wurde. In diesem Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen wurde eine einmalige Ablösezahlung in Höhe des 18,6fachen der aktuellen jährlichen Leistungen vorgeschlagen, was ungefähr 11 Milliarden Euro entsprochen hätte. Diese Summe hätten die Bundesländer insgesamt innerhalb von 20 Jahren an die Kirchen zahlen sollen. Zusätzlich hätten sie 20 Jahre lang die bisherigen Staatsleistungen weiter zahlen müssen.
Zu viel fand der Münsteraner Staatsrechtler Bodo Pieroth. Es ist der Meinung, die über die Jahrhunderte geleisteten Entschädigungszahlungen an die Kirchen überschritten bei weitem den Wert des ehemals entzogenen kirchlichen Vermögens und zitiert ein Sachverständigengutachten. Demnach hätten die Kirchen, geht man von einer dreiprozentigen jährlichen Verzinsung aus, über die letzten 100 Jahre das 194fache des ursprünglich entzogenen Wertes erhalten. Bei fünfprozentiger Verzinsung das 603-Fache.
Heinig wendet ein: "Es wurde den Kirchen Vermögen entzogen, aus dem sie eigentlich Gewinne hätten erwirtschaften können. Die Staatsleistungen treten an die Stelle dieser Gewinne." Dabei müsse natürlich auch die fortschreitende Inflation berücksichtigt werden. "Wenn ich ein Haus lange Zeit als Mieter bewohne und dann das Haus kaufen möchte, bekomme ich die Mietzahlung auch nicht angerechnet", so Henig.
Können die Kirche auch ohne?
Für die Kirchen in Deutschland machen die Staatsleistungen nur einen kleinen Teil ihres Einkommens aus. Allein an Kirchensteuern flossen beiden Kirchen zusammen fast 13 Milliarden Euro im vergangenen Jahr zu. Darüber hinaus haben sie Einkünfte aus Vermögen, halten sich aber bedeckt, wieviel da zusammenkommt. Als Besitzer von Wäldern, Grundstücken, Immobilien und Firmen wie etwa Verlagen, Brauereien, Banken, Versicherungen und Beteiligungen sind sie große Wirtschaftsunternehmen.
"Beide Kirchen haben schätzungsweise einen Umsatz von 150 Milliarden Euro, wenn man alles zusammenrechnet", sagt der Publizist Carsten Frerk, der sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigt. Die Finanzsituation sei aber sehr intransparent, unter anderem weil sich die Umsätze auf rund 50.000 Rechtsträger verteilen. Nach Schätzungen hat das gesamte Vermögen der beiden Kirchen einen Wert von 300 Milliarden Euro.
Kirchliche Leistungen wie Kindertagessstätte, Pflegeheime oder Krankenhäuser stünden nicht auf der Kippe, wenn Staatsleistungen wegfallen würden, meint Frerk. "Es besteht keinerlei Zusammenhang zwischen Staatsleistungen und Caritas, Diakonie oder anderen sozialen Aufgaben der Kirche. Es werden nur maximal zwei Prozent dieser Einrichtungen von den Kirchen finanziert", so Frerk. Die Hauptlast der dadurch entstandenen Kosten trägt der Staat. Dafür sorgt das Subsidiaritätsprinzip, wonach der Staat Aufgaben an zivilgesellschaftliche Institutionen überträgt.
Werden die Zahlungen nun beendet?
Das Elend sei von Anfang an gewesen, dass der Bund keine harte Umsetzungsfrist habe, bis wann diese Ablösung zu erfolgen hat, sagt der Kirchenrechtler Heinig. So können auch das Bundesverfassungsgericht nicht einspringen und den Gesetzgeber zum Handeln zwingen. Zudem gebe es für den Bund politisch nichts zu gewinnen. Entweder ärgert er die Kirchen oder die Länder.
Schon jetzt ist nur die Hälfte der deutschen Bevölkerung Mitglied in einer der beiden Kirchen. Nach Schätzungen werden sie bis 2060 die Hälfte ihrer jetzigen Mitglieder verlieren. Angesichts des mangelnden Verständnisses in der Bevölkerung für die historischen Zahlungen, die schon seit 100 Jahren hätten beendet werden sollen, sei es allerhöchste Zeit, eine Lösung zu finden, meint Heinig. Zumal beispielsweise Tschechien es bereits vorgemacht hat und mit Zahlung einer Ablösesumme die Staatsleistungen an die Kirche beendet hat.