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Kindheit im Flüchtlingslager: Sehnsucht nach einem Zuhause

Sofia Kleftaki (Flüchtlingslager Schisto bei Athen)
Veröffentlicht 21. Juni 2024Zuletzt aktualisiert 22. Juni 2024

Der Junge Ayham ist mit seinen Eltern von Syrien erst in die Türkei geflohen, dann nach Griechenland. Die Familie lebt in Schisto bei Athen. Der Asylantrag der Familie wurde zweimal abgelehnt, ihre Zukunft ist unklar.

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Ein Mädchen und ein Junge sitzen hinter einer Schulbank und lächeln
Flüchtlingslager Schisto bei Athen: Ayham Albahsh, 11 Jahre, lebt hier seit sieben Monaten mit seiner jüngeren Schwester Lin, 8, und seinen Eltern Bild: Sofia Kleftaki/DW

Von außen blickt man auf eine Mauer, auf das Eingangstor und auf den Stacheldraht eines angrenzenden Geländes der griechischen Kriegsmarine. Das Flüchtlingslager Schisto liegt inmitten einer kargen Landschaft am Stadtrand von Athen, etwa eine halbe Stunde Fahrt vom Zentrum der griechischen Hauptstadt entfernt.

Bereits am frühen Morgen liegen die Temperaturen bei über 30 Grad. Es weht ein schwacher, heißer Wind. Die Luft ist trocken und staubig. Trotz der Hitze ist in Schisto etwas los. Ein vielleicht fünfjähriger Junge rennt barfuß auf dem staubigen Kieselboden umher und beobachtet eine Gruppe von Feuerwehrleuten, die eine Sicherheitsübung abhalten.

Ein Container hinter einem Zaun, darauf Abdrücke von Händen
An viele Containerwände im Lager Schisto haben Kinder ihre Handabdrücke mit Farbe gemaltBild: Sofia Kleftaki/DW

193 Kinder von 0 bis 17 Jahren leben momentan mit ihren Familien in Schisto. Sie kommen vor allem aus Syrien, Afghanistan, Somalia und dem Irak. Unbegleitete Minderjährige gibt es nicht mehr in Schisto. In der Vergangenheit gab es in griechischen Flüchtlingslagern - so auch hier - die sogenannte "Safe Zone" für diese Gruppe von Kindern. Allerdings existiert diese aufgrund der besonderen Bedürfnisse von unbegleiteten Kindern heute nicht mehr. Minderjährige, die sich ohne ihre Eltern in Griechenland aufhalten, sind in eigenen Lagern untergebracht.

"Wir waren drei Tage unterwegs"

Ayham Albahsh, 11 Jahre, lebt seit sieben Monaten mit seiner jüngeren Schwester Lin, 8, und seinen Eltern in Schisto. Der Junge sitzt mit seinem Dolmetscher und Mitarbeitern des Schisto-Teams im Büro für soziale Integration. Überall an den Wänden hängen bunte Bilder und Basteleien, an der Decke ist ein Mobile bestfestigt, darauf steht das Wort "Glück".

Eine Frau und ein Mann sprechen mit zwei Kindern, die an einer Schulbank sitzen
Ayham und Lin mit einem Übersetzer und einer MitarbeiterinBild: Sofia Kleftaki/DW

Ayhams Familie ist aus Syrien in die Türkei geflohen und hat acht Jahre in der Stadt Mersin an der türkischen Mittelmeerküste gelebt. Im November 2023 kamen die Eltern und ihre Kinder auf die griechische Insel Kos und einen Monat später nach Schisto. "Drei Tage lang waren wir unterwegs, das weiß ich noch", erzählt Ayham. An andere Einzelheiten der Flucht nach Griechenland erinnert er sich nicht.

Schlimme Erfahrungen in der Türkei

"Was wir in der Türkei erlebt haben, war schlimm. Es ist schrecklich, wenn deine Kinder von der Schule kommen und dir erzählen, dass ihnen Gewalt angetan wurde. Es ist kein sicheres Land", erzählt Ayhams Mutter Alaa Alhatab (34).

In Griechenland fühle sie sich sicher, erzählt Alaa Alhatab, die Mitarbeiter des Schisto-Teams behandelten sie und ihre Familie gut. Allerdings können auch sie nicht wirklich helfen. Der Antrag der Familie auf Asyl wurde zweimal abgelehnt. Sie wisse nicht, sagt Alhatab, was nun passieren werde und könne im Moment nur warten. Nach Syrien will sie keinesfalls zurück. "Ich will das Beste für meine Kinder, Hoffnung ist im Moment das einzige."

Eine Mutter mit Kopftuch, vor ihr stehen ihre beiden Kinder, alle blicken in die Kamera
Alaa Alhatab mit ihren beiden Kindern Lin und AyhamBild: Sofia Kleftaki/DW

Kanada, Großbritannien und immer wieder Deutschland: Die Kinder in Schisto wissen von ihren Eltern, dass Griechenland eine Art Zwischenstation für sie ist. Für wie lange, ist ungewiss.

Tägliche Fragen der Kinder

Jede Familie in Schisto lebt in einem eigenen Container. Dieser besteht aus zwei separaten Schlafzimmern mit Einzel- und Hochbetten, einer Küche mit Herd, Kühlschrank und einem Bad. Warmwasser wird in Schisto durch Solaranlagen und vor allem Elektroboiler sichergestellt. Alle Container verfügen außerdem über eine Klimaanlage. Neben den Wohncontainern gibt es ein spezielles Gebäude für Menschen mit Behinderungen, das über eine Rampe verfügt.

Eine Wand mit Graffitis und Aufschriften, vorn links ist ein Auge zu sehen
"Don’t close your eyes for anybody" - am Schulgebäude haben die Kinder Botschaften für Toleranz und Solidarität gemaltBild: Sofia Kleftaki/DW

Da in Griechenland gerade Sommerferien sind und die Kinder nicht in die Schule gehen, halten sie sich tagsüber die meiste Zeit in den klimatisierten Containern auf. Erst abends, wenn die Hitze langsam erträglicher wird, spielen sie draußen auf dem Spielplatz und dem kleinen Fußballplatz. Die Höhepunkte in Ayhams und Lins Alltag sind vor allem die Ausflüge zu Veranstaltungen außerhalb des Lagers.

Alaa Alhatab hat ihre beiden Kinder auf einen Ausflug zur Refugee Week im Zentrum Athens begleitet. Die Geschwister bemalen zusammen mit anderen Kindern ein Haus aus Karton: ein interaktiver Workshop zum Thema und zur Symbolik der Begriffe "Haus" und "Zuhause". "Das Schwierigste für mich sind die fast täglichen Fragen meiner Kinder, wann wir endlich in unser eigenes Haus ziehen", erzählt Alhatab.

Vorbereitung auf das Leben "draußen"

Die meisten Kinder können sich bereits auf Griechisch verständigen, viele sprechen auch Englisch. Die schulpflichtigen Kinder sind alle an griechischen Schulen eingeschrieben. Es gibt aber einige, die nicht in die Schule gehen. "Wir können und wollen diese Kinder und ihre Eltern nicht dazu zwingen", sagt Thomas Papakonstantinou, der Leiter von Schisto.

Papakonstantinou leitet das Lager in Schisto seit 2020. Er sehe seine Arbeit nicht nur darin, für die Beherbergung und medizinische Versorgung der geflüchteten Menschen zu sorgen, sondern vor allem darin, auf unterschiedlichen Wegen das Leben im Lager stetig zu verbessern.

Ein Raum mit Kindern an Schulbänken und Bildern an den Wänden, im Vordergrund links steht ein Mann
Thomas Papakonstantinou (vorn l.) und sein Team kümmern sich um die Kinder und ihre Familien im Flüchtlingslager SchistoBild: Sofia Kleftaki/DW

Papakonstantinou und sein Team legen besonderen Wert darauf, den Kindern verschiedene Impulse zu geben und Einblicke außerhalb von Schisto zu gewähren. Der Leiter des Lagers organisiert regelmäßig Ausflüge zu sportlichen und kulturellen Veranstaltungen. Zuletzt waren Ayham und Lin beim Finale der UEFA Conference League und im Kallimarmaro-Stadion zur Zeremonie des Olympischen Feuers für die Olympischen Spiele 2024 in Paris.

Ayham holt einen Volleyball aus seinem Container und spricht aufgeregt über seinen Besuch beim UEFA-Finale der Conference League. 12 Kinder aus Schisto - darunter auch Ayham und seine Schwester Lin - durften die Spieler der griechischen Mannschaft Olympiakos aufs Feld begleiten. Der dreizehnjährige Hussein durfte sogar den Ball übergeben. "Die Kinder haben eine Woche lang nach dem Spiel die Trikots nicht mehr ausziehen wollen", erzählt uns eine Mitarbeiterin des Schisto-Teams.

"Ich durfte den Spieler begleiten, der das Tor geschossen hat!", erzählt Ayham stolz. Später möchte er allerdings kein Fußballspieler, sondern Arzt oder Pilot werden. Lin liebt Fußball genauso wie ihr Bruder. Ihr Berufswusch: Kinderärztin.

Porträt einer blonden Frau mit hellblauer Bluse
Sofia Kleftaki Autorin und Reporterin, vor allem für DW Griechisch