KI-Kurzfilm: Wie Sora Animation neu definiert
29. April 2024"Man sagt, dass jeder Mensch etwas Besonderes an sich hat. Etwas, das ihn von den anderen unterscheidet. In meinem Fall ist es offensichtlich, was es ist". So beginnt der Kurzfilm "air head". Das Besondere am Protagonisten ist, dass ihm statt eines Kopfes ein gelber Ballon aus dem Hals wächst. Auch der Film selbst ist etwas Besonderes: Es ist der erste Kurzfilm, der von der künstlichen Intelligenz Sora generiert wurde.
Sora macht Text zu Video
Die Technologie stammt von der Firma OpenAI, die auch hinter dem Chatbot "ChatGPT" steckt. Sora funktioniert ganz einfach. Man beschreibt genau, was generiert werden soll und erhält es innerhalb weniger Sekunden.
"Als wir von Sora hörten, stand sofort fest, dass wir damit einen Film machen wollen", erzählt Produzentin Sydney Woodman. Ihr Ehemann Walter Woodman ist Autor und Regisseur. Zusammen mit dem zweiten Regisseur Patrick Cronenberg haben sie den Film in nur anderthalb Wochen produziert. Ohne Sora wäre es in der Geschwindigkeit nicht möglich gewesen, einen solchen Animationsfilmzu erstellen.
Die drei haben Hunderte von Prompts, so heißen die Anweisungen an die KI, eingegeben, um zum Endergebnis zu gelangen: Ein Kurzfilm, der auf den ersten Blick nicht von einem Realfilm zu unterscheiden ist.
Die Schnelligkeit von Sora ermöglichte es dem Team, in jeder Phase der Produktion neue Bilder zu generieren. Das ist bei einer herkömmlichen Animation fast unmöglich.
Nicht alles in "air head" kommt von der KI. Ein Mensch muss die Clips zusammenfügen, genauso wie die Postproduktion mit kleinen Anpassungen wie Farbkorrekturen.
Das Problem mit Gesichtern und Händen
Wie der Protagonist "air head", der versucht, im Kaktusladen nicht zu platzen, mussten auch die Filmemacher einige Nadelstiche vermeiden. "Es ist schwierig, in mehreren Videos das gleiche Gesicht zu haben. Wir haben das Problem umgangen, indem wir unserem Protagonisten einen gelben Luftballon als Kopf gegeben haben", erzählt Regisseur Patrick Cronenberg.
Neben der Konsistenz sind auch die Hände und bestimmte Bewegungen ein Problem. "Es ist leicht, etwas Schönes zu schaffen. Aber es ist schwierig, dieses schöne Ding dazu zu bringen, das zu tun, was man will", sagt Walter Woodman. Besonders schwierig war es, einen Körper ohne Kopf hinter einem Ballonkopf herlaufen zu lassen.
KI als Kreativakteur
Regisseur Cronenberg beschreibt die Arbeit mit Sora als eine verrückte neue Art der Kollaboration. "Beim KI-Prompting geht es darum, den Computer auszutricksen, damit er macht, was man will." Die KI habe dem Kopf oft ein Smiley-Gesicht aufgemalt. Es reicht nicht aus, die Anweisung zu geben, dass die KI dem Ballon kein Gesicht verpassen soll. Dann macht sie das Gegenteil und setzt ein Gesicht auf den Ballon. Der erfolgversprechendste Prompt war "Mann mit einem gelben Ballon als Kopf. Der Ballon ist rein".
Volker Helzle ist Abteilungsleiter für Forschung und Entwicklung am Animationsinstitut der Filmakademie Baden-Württemberg und forscht zum Thema KI-Animation. Der Film hat ihn beeindruckt, aber er kritisiert, dass mit Sora ein Teil der menschlichen Kreativität verloren geht. "Normalerweise tauche ich stunden- und tagelang in ein Thema ein und animiere Details. Mit Sora sitze ich in einer Zeitmaschine und nehme nicht am kreativen Prozess teil".
Für Walter Woodman dagegen ist Sora wie eine weitere Person im kreativen Prozess. "Als Regisseur hat man immer eine bestimmte Vorstellung davon, wie etwas ablaufen soll, auch mit den Schauspielern. Aber man muss sich auf den Prozess einlassen, Raum für Entdeckungen lassen. Nur so kann das beste Produkt entstehen." So war es auch bei Sora. Je mehr er versuchte, etwas in eine Richtung zu animieren, desto schlechter wurde das Endprodukt.
"Unser Verständnis von Kreativität wird sich verändern"
"Wir bewegen uns in eine Richtung, in der sich unser Verständnis von menschlicher Kreativität grundlegend verändern wird" glaubt Helzle. "Meine 5-jährige Tochter wird es in 10 Jahren vielleicht gar nicht mehr interessieren, ob etwas KI-generiert ist oder nicht. Vielleicht gibt es dann schon KI-Inhalte, die unmittelbar anhand des Userverhaltens generiert werden."
"Air head" ist im Film nur einen Nadelstich entfernt von seiner Auslöschung. Geht es der Animationsindustrie genauso? Walter Woodman ist sich sicher, dass Sora zumindest nicht alle Animationen ersetzen wird. "Es kommt immer auf die Vision der Künstler an. Studio Ghibli aus Japan z.B. wird immer mit Zeichnungen arbeiten und das ist auch gut so."
200.000 Jobs in Gefahr, doch neue kommen dazu
Man ist sich in der Branche einig: Es wird Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt geben. Das bestätigt auch eine Befragung von "CVL Economics", die mutmaßt, dass die KI bis 2026 allein in den USA über 200.000 Jobs übernimmt.
Doch es entstehen auch neue Berufe. Jonas Trottnow ist zum Beispiel KI-Ingenieur. Er glaubt, dass im Bereich Prompt Engineering, sowie im technischen Verständnis der generativen KI Potentiale für neue Arbeitsfelder liegen.
Zu viel Macht für OpenAI?
An Sora kritisiert Trottnow, dass amerikanische Firmen wie OpenAI eine zentralisierte Macht über die Modelle hätten. Auch Helzle sieht darin ein Problem. "Bei ernsten Themen ist das gefährlich, etwa wenn es um Konflikte in Filmen oder Dokumentationen geht. Welche Parameter nimmt die KI an? Und wer kontrolliert sie?"
Er beschreibt außerdem eine "klare Gegenbewegung gegen US-Firmen, die viel Vertrauen verspielt haben". Es gebe auch rechtliche Bedenken, da unklar sei, mit welchen Daten die KI trainiert wurde.
Sora macht Animation zugänglicher
Aber alle sind sich einig: Wenn Sora Ende des Jahres auf den Markt kommt, eröffnen sich unendliche Möglichkeiten für kleine Produktionen. Für eine Animation braucht man vielleicht bald keine großen Kenntnisse mehr, jeder kann mit seinem Gerät Clips animieren.
"Ich freue mich, dass bald viele Menschen ihre Ideen umsetzen können. Das ist eine Chance für mehr Originalität", sagt Walter Woodman. "Der nächste Film, der die Welt verändern wird, kommt von dort, wo wir ihn nie erwartet hätten."