Keine Panik: Momentaufnahme aus Brüssel
22. März 2016Ein Mann schiebt den massiven Deckel einer Mülltonne auf und wirft einen prüfenden Blick hinein. Er geht weiter und einen Moment später kommt ein Kollege um die Ecke und wiederholt die Prozedur. Es sind keine Pfandsammler, sondern schwer bewaffnete Militärs. Die vermummten Männer patrouillieren auf dem Boulevard du Jardin Botanique. Nach den Anschlägen am Brüsseler Flughafen und wenig später in der U-Bahn Station Maelbeek wurden sie hierher beordert. Wonach sie suchen, möchten sie nicht mitteilen. Nur soviel: "Kein Kommentar, keine Bilder!"
Soldaten sieht man gelegentlich im Brüsseler Stadtbild, sie bewachen seit den Anschlägen in Paris die EU-Gebäude im Regierungsviertel. Dass sie auf einmal in Fußgängerzonen und Wohnvierteln unterwegs sind verdeutlicht den Ernst der Lage. In Brüssel gilt seit heute Alarmstufe 4, die höchste Terrorwarnung. Trotzdem ist auf den Straßen abseits der Anschlagsorte von Angst nicht viel zu spüren.
Zu Fuß dem Verkehrschaos trotzen
An diesem sonnigen Tag sind besonders viele Menschen zu Fuß unterwegs. Das ist nicht überraschend, denn seit dem Morgen fahren weder Bahnen, noch Busse. Autos stauen sich über die gesamte Hauptstraße. Immer wieder schlängeln sich Einsatzwagen von Polizei und Rettungsdienst durch den stockenden Verkehr. Das Heulen der Sirenen bildet mitunter ein durchgängiges Hintergrundgeräusch.
Ximene Maitorell ist gerade auf dem Weg in ihr Hotel. Die Touristin aus Chile hat gerade erst von den Anschlägen erfahren und möchte die Fernsehnachrichten sehen. Mit ihrem Mann und der Tochter ist sie auf Durchreise in Brüssel. Morgen soll es weitergehen, mit dem Zug nach Paris. Ob sie dabei keine Angst hat? "Ich kann über die Straße gehen und dabei sterben. Es kommt, wie es kommt, das ist Schicksal." Ihr Mann nickt zustimmend.
Halime Göktas ist anderer Meinung. Mit ihrem Mann führt sie einen Express Supermarkt nahe der Metro-Station Rogier. "Es gibt überall Terroranschläge, das ist mir bewusst. Aber nun ist der Terror so nah. Ich habe Angst." Sie sorgt sich auch um ihre drei Kinder. Seit dem ersten Anschlag am Flughafen sitzen sie in der Schule fest und können nicht weg. Das Verkehrschaos wirkt sich auf Göktas' Geschäft aus. Einige Angestellte konnten nicht mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Eine Mitarbeiterin, berichtet Halime Göktas, ist zwei Stunden zur Arbeit gelaufen.
Krankenhäuser auf weitere Anschläge vorbereitet
Unweit des Supermarkts liegt die Rue Neuve, eine Einkaufsstraße, die in der Regel unter der Woche sehr belebt ist. Jetzt herrscht hier ein anderes Bild. Die Straße im Zentrum wirkt verlassen, nur ein paar Menschen sind hier. Einzig eine McDonalds-Filiale hat hier noch geöffnet. Das Einkaufszentrum an der Ecke ist dunkel und den Eingang blockiert ein schweres Metalltor. Die paar Menschen hier bummeln nicht durch die Fußgängerzone, sondern sind zielstrebig unterwegs. Panisch scheint hier niemand zu sein, aber wohin man schaut, blickt man in ernste Gesichter.
Dass man auch hier konstant den Lärm der Sirenen hört, liegt daran, dass in der Klinik Saint-Jean nebenan Schwerverletzte eingeliefert werden. Laut Kliniksprecherin Florence Feys wurden bis zum frühen Nachmittag 17 Verletzte versorgt, drei von ihnen sollen sich in einem sehr kritischen Zustand befinden. Der Haupteingang ist mit rot-weißem Absperrband gesperrt. Metalldetektoren, wie in anderen Krankenhäusern in Brüssel gibt es nicht, aber man ist auch hier vorsichtig.
Zwei Security-Mitarbeiter haben sich vor einem Nebeneingang positioniert, sie überprüfen alle, die rein wollen. Vor ihnen bildet sich zeitweise eine längere Schlange, viele alte Menschen sind darunter. Die meisten Patienten müssen allerdings wieder gehen. "Wir behalten uns vor, nur noch Notfälle zu behandeln, damit wir genügend Ressourcen haben, um auf auf weiteres zu reagieren", sagt Florence Fey vor dem Eingang der Klinik. Man scheint hier auf das Schlimmste gefasst.
Unbeeindruckt vom Terror
Rik Potomi und Manu Engels sehen das Ganze eher locker. Die beiden Mittzwanziger stehen mit ihren Rennrädern auf dem Bürgersteig und ruhen aus und scheinen sich zu amüsieren. Rik trägt eine Kamera auf dem Helm und ein kleines Mikrofon auf der Brust. Mit seinem Kumpel nutzt er die Gelegenheit, um auf seinem Fahrrad durch den stehenden Verkehr zu rasen und sich dabei zu filmen. Seine Eltern und seine Schwester hätten angerufen und sich nach ihm erkundigt, erzählt er. "Die Leute, die nicht in Brüssel leben, scheinen mehr Angst zu haben als wir hier." Er ist unbeeindruckt. "Ich habe heute nicht mehr Angst vor einem Terroranschlag als gestern um die gleiche Zeit."
Am späten Nachmittag erklärte das belgische Krisenzentrum, die Bürger könnten sich wieder frei in Brüssel bewegen.