1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Migration

Thomas Ratzke11. Oktober 2006

Bei Migranten denkt man gemeinhin an Armut, Grenzwälle, Auffanglager und Abschiebung. Dass jährlich aber allein rund 145.000 Deutsche auswandern ist weniger bekannt. Im Ausland locken offenbar Jobs und Perspektiven.

https://p.dw.com/p/9ERj
Deutsche Auswanderer: Ein Neu-Karibe aus Schwaben
Deutsche Auswanderer: Ein Neu-Karibe aus SchwabenBild: picture-alliance/dpa

"Man hat mir keine Wahl gelassen: Ich hätte Sozialhilfe beantragen können." Die 30-jährige Architektin Andrea ist eine von über 100.000 Deutschen, die jedes Jahr ihre Heimat verlassen, um sich im Ausland eine Existenz aufzubauen.

Seit drei Jahren arbeitet sie für das Londoner Architektenbüro MGM in der Londoner Innenstadt. Eigentlich wollte sie nur ein halbes Jahr dort arbeiten, um Erfahrungen im Ausland zu sammeln, doch dann sei sie irgendwie hängen geblieben, erzählt sie.

Arbeitsagentur: Selbstverwaltung statt Jobsuche?
Arbeitsagentur: Selbstverwaltung statt Jobsuche?Bild: AP


"Absaugpumpen für Qualifizierte"

Die mangelnde Berufsperspektive sei der "Motor der derzeitigen Auswanderungswelle“ in Deutschland, erklärt der Freiburger Migrationsexperten Dieter Oberndörfer. Laut Statistischem Bundesamt wanderten allein im Jahr 2005 rund 145.000 Deutsche aus.

Einer Umfrage zufolge ziehen fast 60 Prozent der deutschen Studierenden eine Auswanderung in Betracht. Vor allem die USA, Kanada und Australien seien "Absaugpumpen hoch qualifizierter, technisch und wissenschaftlicher Intelligenz“, sagt Oberndörfer. Daher verschärfe sich der Fachkräftemangel in Deutschland, in der Ingenieurwirtschaft und im Bereich Elektronik sei der Arbeitsmarkt geradezu leer gefegt.


Unkomplizierter Wechsel

Weil auch das Arbeitsamt ihr nicht weiterhelfen konnte, bewarb sich Andrea in London und bekam prompt eine Zusage. Die Angestellten in ihrem Büro kommen aus Südkorea, Italien, Frankreich und eben auch aus Deutschland. Gut 9000 Deutsche haben allein 2005 einen Job auf der Insel gefunden. Für die Arbeitspapiere, die Steuer- und die Krankenkassenanmeldung sorgt in der Regel der Arbeitgeber.

Deutsche im Ausland: Deutscher Kaffeeklatsch in Anchorage/ Alaska
Deutsche im Ausland: Deutscher Kaffeeklatsch in Anchorage/ AlaskaBild: picture-alliance/dpa

Hassan Mustafa, selbst türkischer Einwanderer und Andreas Chef, schätzt vor allem die gute Ausbildung der deutschen Einwanderer und deren disziplinierte Arbeitsauffassung. Das Bild der Briten von den Deutschen hält allerdings nicht immer der Realität stand. "Alle halten mich für ordentlich, pünktlich und gut organisiert. Aber ich entspreche nicht immer diesen Vorurteilen", berichtet die 34-jährige Bettina.

Sie kam 2002 als Studentin nach London und arbeitet mittlerweile für die Wohlfahrtsorganisation "Roma Support Group“, die Projekte für Roma organisiert. Sie hat beobachtet, dass im Gegensatz zu Deutschland in England der die Verknüpfung mit der Arbeitswelt bereits gezielt in der Uni mittels Praktika stattfindet, was die spätere Jobsuche einfacher macht.

Bessere Verdienstmöglichkeiten

Vor allem Ingenieure wandern aus
Vor allem Ingenieure wandern ausBild: DW

Über ihr Gehalt sprechen die beiden Wahlengländerinnen nicht, aber beispielsweise Architekten können dort in der Regel zwischen 30.000 und 40.000 Pfund (45.000 - 60.000 Euro) brutto im Jahr verdienen. Allerdings liegen die englischen Lebenshaltungskosten in London, insbesondere die Mieten, auch erheblich über den deutschen.

Unabhängig vom Geld haben beide schon häufiger über eine Rückkehr nach Deutschland nachgedacht: "Deutschland ist mein Heimatland, und ich würde gerne da arbeiten. Aber hier gibt es einfach mehr Angebote“, erzählt Bettina.


Vor allem Akademiker wandern aus

Seit 1990 steigt die Zahl der Akademiker unter den Auswanderern überproportional, schnell ist vom "Brain Drain“ die Rede. Fast die Hälfte der Auswanderer hat mindestens einen Fachhochschulabschluss im Gepäck. Neben dem Job stehen die alltäglichen sozialen Kontakte im Mittelpunkt und diese entscheiden oft über den Erfolg oder Misserfolg des neuen Lebens in der Ferne. Nicht immer gelingt der schwierige Schritt der Integration allerdings so leicht wie bei der Architektin Andrea. "Ich habe kurz nach meiner Ankunft bereits meinen jetzigen Freund, einen Engländer, kennen gelernt. Das hat mir natürlich sehr geholfen mich hier einzuleben."