"Kein Mensch soll auf der Flucht sterben"
3. Juni 2015Angesichts von Kriegen, Terror und weltweiten Flüchtlingstragödien soll vom 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart ein Zeichen des Friedens ausgehen. "Die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt hängt davon ab, dass wir die Fähigkeit entwickeln, Frieden zu schaffen und zu sichern", betonte Kirchentagspräsident Andreas Barner zur Eröffnung des fünftägigen Treffens in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Der Kirchentag steht unter der Losung "Damit wir klug werden".
"Die Welt ist aus den Fugen geraten"
Nach den Worten von Barner ist es besonders wichtig, "in christlicher Verantwortung Position zu beziehen. "Die Welt ist aus den Fugen geraten", beklagte er und nannte als Beispiele die "Verwüstung von Teilen der Ukraine, die unermessliche terroristische Gewalt in Syrien, in Paris, in Kopenhagen oder in Tunesien".
Er ging auch auf die Flüchtlingstragödien ein. "Das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer muss ein Ende haben. Kein Mensch soll auf der Flucht sein Leben verlieren", machte Barner deutlich. Das Geschehen dieser Tage fordere auf besondere Weise dazu heraus, in christlicher Verantwortung Stellung zu beziehen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, appellierte an die Staaten Europas, mehr zu tun, um die Flüchtlingstragödien zu beenden. Zugleich betonte er, niemand könne hinnehmen, dass "Menschen ertrinken, weil es keine legalen Wege nach Europa gibt".
Württembergs evangelischer Landesbischof Frank Otfried July begrüßte den Kirchentag in einer - wie er sagte - weltoffenen Stadt, "in der Integration seit vielen Jahrzehnten gelingt". Das Zusammenleben von Menschen aus 170 Ländern sei "Stuttgarts Reichtum".
An Ermordung Homosexueller erinnert
Der Kirchentag gedachte auch der Verfolgung und Ermordung homosexueller Menschen während des Terrors der Nationalsozialisten. Die Ausgrenzung homosexuell geprägter Menschen habe eine lange, leidvolle Vorgeschichte, erinnerte Barner. Dazu hätten auch die Kirchen beigetragen. "Es ist unsere Verpflichtung, das Leiden der Verfolgten nicht dem Vergessen anheimzustellen", appellierte der Kirchentagspräsident. Zugleich sei es Aufgabe, die Spuren der Täter zu verfolgen und sichtbar zu machen, wo heute Diskriminierung und Ausgrenzung begännen.
Nach Schätzungen wurden zur NS-Zeit allein rund 8000 schwule Männer getötet. Nach 1945 seien Homosexuelle in Deutschland weiter verfolgt worden, auch in Stuttgart, machte Barner deutlich. "Das NS-Regime ging unter, doch die Verfolgung ging kontinuierlich weiter."
Bundespräsident Gauck: inspirierender Ort der Begegnung
Beim großen Eröffnungsgottesdienst vor dem Neuen Schloss versammelten sich 45.000 Gläubige in der Stuttgarter Innenstadt (Artikelbild oben). Bundespräsident Joachim Gauck sagte in seiner Ansprache: "Kirchentage sind Motivationstraining für alle, die nicht an den großen Problemen der Zeit vorbeisehen wollen."
Das politische Deutschland begegne dem Protestantentreffen mit Respekt. Staat und Gesellschaft hätten etwas davon, dass sich Menschen inspirieren und aktivieren ließen, dass sie Werte lebten und bewahrten und sie unter Umständen dafür auch kämpfen und leiden könnten. Bis zum Sonntag stehen mehr als 2500 Veranstaltungen auf dem Programm.
Neben Gauck werden weitere Spitzenpolitiker und Prominente aus dem In- und Ausland in Stuttgart erwartet, unter ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der indische Kinderrechtsaktivist Kailash Satyarthi, der 2014 den Friedensnobelpreis bekam. Angesagt hat sich auch der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan. Insgesamt haben sich gut 97.000 Dauerteilnehmer angemeldet.
se/uh (epd, kna, dpa)