Kapital für die Zukunft – Berufliche Bildung in Usbekistan
3. Mai 2006Rodion will Koch werden. Er ist 17 und lernt gerade, wie man Koteletts brät und Strudel backt. Das ist Teil der Ausbildung an der Berufschule für Tourismus und Hotelgewerbe in Samarkand. Die Stadt liegt an der legendären Seidenstraße und lockt Touristen aus Japan und Europa an. Und die wollen dann eben Strudel essen.
Lernen fürs Leben ...
"Alle Hotels und auch andere Tourismus-Einrichtungen hier haben sich um unsere Schüler gerissen", sagt Muchira Mirsaewa. Sie leitet die Berufschule, an der auch Rodion lernt: ein Vorzeigeprojekt, denn die Schule setzt auf Praxis. Jeder Schüler macht Praktika in seinem speziellen Fachbereich, lernt Fremdsprachen und Rechnungswesen. Bei der Abschlußprüfung müssen die Schüler ein Hotelzimmer für den Gast vorbereiten oder diesen im Restaurant bedienen. Beurteilt wird die Prüfung dann von potentiellen Arbeitgebern, nicht von Lehrern. Die Folge ist, dass 85 Prozent der Absolventen eine Stelle bekommen.
... statt für die Schule
Das alles ist keine Selbstverständlichkeit in Usbekistan. Denn die meisten Berufsschulen oder Colleges sind ausgesprochen theorielastig. Weil in der Republik jeder ein Recht auf Hochschulbildung hat, lehren nämlich selbst Berufschullehrer viel Theorie und Allgemeinwissen statt Praxis. Das geht auf Kosten der Jobchancen. Die usbekische Regierung will das ändern, und zwar im Rahmen einer großen Bildungsreform bis 2009.
Auf dem Gebiet "Berufliche Bildung" werden die Politiker von der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) beraten. Jürgen Kupfer von der GTZ betreut landesweit acht Pilot-Berufschulen, an denen die Ausbildung berufsorientierter abläuft: "drei kaufmännische, drei im Bereich Hotel/ Tourismus und zwei Colleges zur Ausbildung von Landmaschinenmechanikern." Rodions Berufschule ist eines dieser Colleges, für die Kupfer mehr als 250 Partner-Betriebe organisiert hat.
Vorbild Deutschland
Das deutsche Modell des "Dualen Ausbildungssystems" stand auch für das IT-College in der Hauptstadt Taschkent Pate. Insgesamt 1500 Schüler werden hier zu Programmierern, Elektronikspezialisten oder zu IT-Fachleuten für Business ausgebildet: zur Hälfte durch theoretischen Unterricht, zur anderen Hälfte durch praktische Arbeit am Computer. "Die Schüler installieren Programme, sie können die Rechner auseinandernehmen und ähnliches", sagt Projektbetreuer Thomas Lux von der GTZ.
Oksana ist mit ihrer Ausbildung zufrieden. "Wir haben gute Lehrer und auch der Unterricht ist gut", sagt sie. An Engagement mangelt es nur auf der Arbeitgeberseite. Zwar veranstaltet das IT-College einen Workshop mit Lehrern und potentiellen Arbeitgebern, aber wenn es darum geht, die Berufsschüler in den Betrieben praktisch auszubilden, sind die Arbeitgeber "noch ein wenig schwach", meint Lux.
Zweite Chance
Die 29jährige Dilnosa hat schon eine abgeschlossene Ausbildung. Sie arbeitete drei Jahre in der Erdgasindustrie, aber der Betrieb wurde geschlossen. Jetzt lässt sie sich zur Buchhalterin umschulen: in einem Kurs für Arbeitslose am Zentrum für Erwachsenenbildung in Taschkent. Die Kurse zur Umschulung oder Weiterbildung von Arbeitslosen sind das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem usbekischen Arbeitsministerium und dem Institut für internationale Zusammenarbeit des deutschen Volkshochschulverbandes. 250 Usbeken haben in den letzten zwei Jahren die Chance ergriffen, "80 Prozent der Absolventen konnten eine neue Arbeit finden", bilanziert der Direktor des Instituts Uwe Gartenschläger. Das bedeutet nicht immer eine feste Arbeitsstelle in einem Betrieb, sondern oftmals Heimarbeit, "zum Beispiel als Näherinnen, die ihre Produkte dann auf dem Basar verkaufen lassen."
Entwicklungsland mit Bildungsehrgeiz
"Dass für die Bildung so viel Geld ausgegeben wird" findet Gulnara Babadschanowa, die Direktorin des Taschkenter Trainingszentrums für Journalisten, "gut". Denn obwohl es den Menschen in Usbekistan 14 Jahre nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion an vielem fehlt – an politischen Initiativen für eine bessere berufliche Bildung mangelt es nicht. Das zeigen die drei Beispiele um Rodian, Oksana und Dilnosa und die Tatsache, dass in den letzten zehn Jahren mehr als 800 Berufsschulen entstanden sind. "Kapital für die Zukunft" nennt Babadschanowa das, "weil wir in der Zukunft vielleicht besser leben werden."