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Kann Polen die Oder vor giftigen Algenblüten retten?

24. August 2024

Zwei Jahre nach dem Fischsterben in der Oder kämpft Polen wieder gegen Algenblüten. Umweltverschmutzung und hohe Temperaturen begünstigen das Wachstum. Was ist die beste Lösung des Problems?

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Auf der Oder werden tote Fische eingesammelt im Sommer 2022
Giftige Goldalgen verursachten im Sommer 2022 eine Umweltkatastrophe in der Oder. Wie lässt sich die Altgenbildung vermeiden?Bild: Marcin Bielecki/PAP/dpa/picture alliance

Die erneute Ausbreitung der Goldalgen (Prymnesium parvum) soll nun mit Wasserstoffperoxid (H2O2) verhindert werden. Polen hat die Chemikalie bereits in einen Abschnitt der Nebenflüsse der Oder gepumpt. Die Säure wird normalerweise zum Bleichen von Papier, Textilien und Haaren verwendet und dient in schwacher Konzentration auch zur Desinfektion von Wunden.

Polen ist nicht als einziges Land betroffen. Die Oder entspringt in der Tschechischen Republik und fließt entlang der deutsch-polnischen Grenze in die Ostsee. Laut einer Studie im Wissenschaftsmagazin Nature haben solche Algenblüten weltweit an Häufigkeit und Intensität deutlich zugenommen.

Tote Fische haben sich an einem Wehr im deutsch-polnischen Grenzfluss Westoder, nahe dem Abzweig vom Hauptfluss Oder, auf der Wasseroberfläche gesammelt.
Tote Fische in der Oder 2022. Damals war die Ursache noch unklar Bild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Was ist eine Algenblüte und warum tritt sie auf?

Algen gibt es in Meeren, Seen und Flüssen. Neben den Großalgen, die bis zu 60 cm groß werden, gibt es mikroskopisch kleine sogenannte Mikroalgen.

Sie sind für aquatische Ökosysteme lebenswichtig. Doch wenn sich Mikroalgen schnell und unkontrolliert vermehren, produzieren bestimmte Arten Giftstoffe, die für Fische, Menschen und andere Teile des Ökosystems schädlich sein können. So wie in der Oder.

Algenblüten werden durch eine Mischung von Umweltfaktoren begünstigt. Dazu gehören höhere Temperaturen, mehr Licht und erhöhte Nährstoffe im Wasser, die durch Landwirtschaft und andere Abwässer verursacht werden. Einige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Algenblüten mit steigenden Temperaturen aufgrund des Klimawandels verstärken können.

Das Fischsterben in der Oder im Jahr 2022 wird als "vom Menschen verursachte Umweltkatastrophe" bezeichnet. Forscher fanden heraus, dass ein Hauptgrund für die Goldalgenblüte der hohe Salzgehalt im Wasser war, der durch das Einleiten von Salzwasser aus den Kohlebergwerken und anderen Industrien verursacht wurde.

Die Goldalge produziert keine sichtbare Farbe und ist deshalb mit dem Auge nicht erkennbar. Der erste Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt, können sterbende Fische sein.

Rotbraungefärbtes Meerwasser in Kapstadt und Menschen im Meer
Kapstadt: Wärmeres Wasser begünstigt hier die deutlich sichtbare Algenblüte Bild: Esa Alexander/REUTERS

Welche Auswirkungen hat Wasserstoffperoxid für die Umwelt?

Nach Aussage des polnischen Klima- und Umweltministeriums hat das Wasserstoffperoxid am Zusammenfluss vom Gliwice-Kanal und dem Fluss Klodnica 90 Prozent der Goldalgen abgetötet. Die Kodnica ist ein Zufluss der Oder. Das Bleichmittel wird nicht erstmals zum Abtöten von Algen eingesetzt: 2017 war es auch bei Versuchen in Großbritannien erfolgreich. Forscher Christian Wolter vom deutschen Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei weist jedoch darauf hin, dass es zum ersten Mal in einem Fluss und nicht in stehenden Gewässern eingesetzt wurde.

Dabei seien die Umweltauswirkungen der Chemikalie nicht vollständig klar, erklärt Jacek Engel, von der polnischen Umweltorganisation Greenmind Foundation. Seine Kollegen untersuchten, wie sich Wasserstoffperoxid auf andere Teile des Ökosystems auswirke, beispielsweise auf die wichtige Nahrungsquelle Plankton.

Die lokalen Auswirkungen, die es auf einen bestimmten Teil des Flusses haben könnte, müssen gegen die potenziell größeren Auswirkungen abgewogen werden, die die Ausbreitung der Goldalgen mit sich bringt, erklärt Wolter. "Denn natürlich tötet dies nicht nur Goldalgen. Es wird alles getötet. Aber dennoch töten sie die Organismen an einer bestimmten Stelle, um das gesamte Odersystem zu retten." Die polnischen Behörden hätten mehrere Überwachungspunkte eingerichtet. Dort werde gemessen, wie schnell das Wasserstoffperoxid verschwindet und welche Auswirkungen es auf wirbellose Tiere, Algen und Fische hat.

Um zu vermeiden, dass andere Organismen geschädigt werden, ist die richtige Konzentration der Chemikalie entscheidend, erklärt Elisabeth Varga, Wissenschaftlerin an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien. "Man muss eine Konzentration finden, die hoch genug ist, um die Mikroalgen zu schädigen und ihr Wachstum zu verhindern, die aber nicht zu hoch ist, damit nicht alle anderen Lebewesen beeinträchtigt werden."

Laut britischen Versuchen zersetzt sich Wasserstoffperoxid nach kurzer Zeit und wird schnell unschädlich. Die Tests zeigten auch, dass "Fische, Schnecken, Würmer, Krebse und Muscheln durch die Behandlung keine Schäden davontrugen".

	Karte vom Fluß Oder
Die Oder entspringt in Tschechien und bildet an ihrem Unterlauf die Grenze zwischen Deutschland und Polen

Ist Wasserstoffperoxid gegen Algenblüten eine wirksame Maßnahme?

Das polnische Klimaministerium betont, es handele sich bei dem Einsatz von Wasserstoffperoxid um eine Krisenmaßnahme. "Der Einsatz von Wasserstoffperoxid ist ein kurzfristiger", sagt Umwelttoxikologe Julios Kontchou von Greenpeace in Deutschland. "Es ist keine Lösung für das Problem, das wir in der Oder haben." Die wichtigste Lösung bestehe darin, dass die Behörden die Grenzwerte für das Einleiten von Salz aus den Kohlebergwerken und anderen Unternehmen deutlich senkten.

Der Einsatz von Wasserstoffperoxid bekämpfe nur die Symptome, aber nicht die Lösung für das eigentliche Problem, sagt Wolter. "Wir wissen, dass die Goldalge eine Brackwasseralge ist und der Hauptgrund für ihr Vorkommen ist der Salzgehalt in der Oder." Laut einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie von Greenpeace Polenweisen mehrere Nebenflüsse der Oder, die die Abwässer aus mehreren Steinkohlegruben aufnehmen, einen höheren Salzgehalt auf als die Ostsee. Greenpeace nannte das Ergebnis

"erschreckend", da die Oder ein Süßwasserfluss ist und die Ostsee ein Salzwassermeer.

"Ich würde sagen, die Situation ist ähnlich der, die wir letztes Jahr beobachtet haben und an einigen Stellen sogar schlimmer als das, was wir bereits 2022 beobachtet haben", sagt Kontchou mit Blick auf den Salzgehalt des Flusses. Der stellvertretende polnische Klimaminister hat Pläne zum Bau von Entsalzungsanlagen angekündigt, um die Wasserqualität in der Oder zu verbessern.

Der deutsche Umweltverband BUND und andere polnische Organisationen argumentieren jedoch, der Schutz der Oder müsse über Maßnahmen zur Überwachung und Unterbindung des Salzausstoßes hinausgehen. Vor allem müsse die Oder so naturbelassen wie möglich gehalten werden, anstatt sie als Wasserstraße für Lastschiffe und Touristenverkehr auszubauen.

Bundesumweltministerin Lemke in Winterjacke hält ein Gerät zur Messung des Salzgehalt der Oder, neben ihr steht ein Wissenschaftler, der mit Hut und Jacke eines Rangers gekleidet ist
Der Salzgehalt der Oder hatte Bundesumweltministerin Steffi Lemke hier im Dezember 2022 auf den Plan gerufenBild: Mike Schmidt/IMAGO

Es gebe zahlreiche strenge EU-Vorschriften für Flüsse, sagt Wolter. "Das Problem ist die Umsetzung. Und das betrifft nicht nur Polen, sondern auch andere Mitgliedsstaaten. Europaweit sind 60 Prozent der Flüsse in keinem guten ökologischen Zustand", so Wolter. Er fügt hinzu, dass die meisten deutschen Flüsse die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie zur Qualitätsverbesserung europäischer Gewässer nicht erfüllen.

Zum Schutz der Oder gibt es eine internationale Kommission zwischen der Tschechischen Republik, Polen und Deutschland. Seit der Katastrophe im Jahr 2022 wurde diese auch mehr in die Überwachung des Flusses eingebunden, sagt Wolter. Hier gebe es aber noch Luft nach oben und so könnte diese zukünftig zu umfassenderen Maßnahmen ermächtigt werden.

Adaptiert aus dem Englischen von Gero Rueter

Bearbeitet von: Jennifer Collins

Holly Young Holly Young ist Klimareporterin bei der DW Umweltredaktion in Berlin.@holly_young88