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Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe in Usbekistan begonnen

30. September 2003
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Bonn, 30.9.2003, DW-radio / Russisch

Ende vergangener Woche hat der usbekische Präsident Islam Karimow einen Erlass unterzeichnet, mit dem gewissen Personen, die wegen Straftaten verurteilt sind, Erleichterungen im Strafvollzug gewährt werden. Das Land ist eines von wenigen innerhalb der GUS, in dem immer noch Todesurteile vollstreckt werden. Aber nicht alle usbekischen Bürger finden sich mit dieser Situation ab. Vertreter der Nichtregierungsorganisation, des Menschenrechtsverbandes "Mütter gegen die Todesstrafe und Folter" richtete an den Präsidenten Usbekistans einen offenen Brief mit der Bitte, die Vollstreckung der Höchststrafe auszusetzen. Der Brief soll eine breite Kampagne für die Abschaffung der Todesstrafe im Lande einleiten. Am Montag (29.9.) erklärte auf einer Pressekonferenz die Leiterin der Menschenrechtsorganisation Tamara Tschikunowa: "Verehrter Präsident! Wir bitten Sie um Menschlichkeit und Barmherzigkeit. Soll doch ein Mensch, der eine strenge Strafe verdient hat, eine lebenslange Haftstrafe verbüßen und für das Wohl der Gesellschaft arbeiten und somit ihr gegenüber seine Schuld wiedergutmachen. Indem die Todesstrafe vollstreckt wird, säen wir Böses und ernten Böses!"

Auf der Pressekonferenz war die Korrespondentin der Deutschen Welle, Natalija Buschujewa, anwesend. Sie berichtet folgendes:

In Usbekistan wird die Todesstrafe durch Erschießung nicht öffentlich vollstreckt. Ein Großteil der Menschen, die zu der Höchststrafe verurteilt sind, gehören der Altersgruppe zwischen 18 und 30 Jahren an. Nach Ansicht von Tamara Tschikunowa ist das Strafgesetzbuch des Landes ein schreiendes Beispiel dafür, wie Menschenrechte verletzt werden: "Laut Gesetz dürfen Angehörige die verurteilten Person kein letztes Mal besuchen, sie dürfen auch nicht wissen, wann das Urteil vollstreckt wird und wo die Leiche beerdigt wird. Sie dürfen auch nicht die Leiche zur Bestattung abholen."

Das Hauptproblem sei, heißt es im Brief an den Präsidenten, dass eine echte Unabhängigkeit der Gerichte von der Exekutive fehle. Ein anderer Faktor, der die Rechtsprechung behindere, sei die Korruption: "In Usbekistan ist das bürokratische System so korrupt, dass ohne Geld nichts unternommen wird. Auch wenn man im Recht ist und nicht gezahlt hat, wird man von niemandem Hilfe bekommen. Wenn sich Menschen an ein Gericht wenden, verlangt man von ihnen Geld. Jedem wird der Preis für die eigenen Kinder genannt. Durchschnittlich umgerechnet 50 000 US-Dollar."

Der Sohn von Aleksandra Tuljaganowa, Refat Tuljaganow, wurde im Alter von 19 Jahren hingerichtet. Dem jungen Mann wurde der Mord an einem Mann und versuchter Mord an zwei weiteren zur Last gelegt. Der Leiterin der Organisation "Mütter gegen die Todesstrafe und Folter", Tamara Tschikunowa, zufolge war das Urteil ungerecht. Refat Tuljaganow wollte sein Leben verteidigen. Es berichtet die Mutter des Hingerichteten: "Ich habe dem Ermittler gesagt, dass ich nur 200 bis 300 Dollar aufbringen kann. Dieser antwortete mir: ‚Haben Sie gerade den vorbeigehenden Mann gesehen? Das ist unser Vorgesetzter. Allein der Mantel, den er trägt, kostet 1000 Dollar. Wenn ich Geld annehme, dann muss ich es mit meinem Vorgesetzten teilen. ‘Hier in der Generalstaatsanwaltschaft ändert man für 200 Dollar nicht einmal einen Punkt in ein Komma um. Das Leben meines Sohnes wurde mit 10 000 Dollar bewertet. Es ist bitter, dass man das Leben eines Menschen kaufen kann. Das bedeutet, dass diejenigen, die Geld haben, ruhig Morde verüben können und ungestraft bleiben. Ich denke, die Todesstrafe birgt große Gefahren. Bei uns herrscht immer noch Hass gegen die Rechtsschutzorgane."

Nach Angaben der Leiterin des Verbandes "Mütter gegen die Todesstrafe und Folter", Tamara Tschikunowa, wurden im Jahre 2002 in Usbekistan 22 Personen hingerichtet. Dank der Bemühungen der Menschenrechtsorganisation war es acht Verurteilten gelungen, ihr Urteil abzuschwächen und die Höchststrafe in eine 20jährige Freiheitsstrafe umzuwandeln. Tamara Tschikunowa sagte weiter: "Von allen Usbekistan umgebenden Staaten gibt es praktisch nur noch in Tadschikistan die Todesstrafe. In Kasachstan wird die Vollstreckung der Todesstrafe am 1. Januar ausgesetzt. In Russland besteht bereits ein Moratorium. Somit gehören wir der Minderheit an. Es wäre erstrebenswert, dass eine Gesellschaft, die sich als demokratisch bezeichnet, versteht, dass die Todesstrafe Böses ist. Deswegen starten wir jetzt eine Kampagne für die Abschaffung der Todesstrafe."

Die Todesstrafe ist Tamara Tschikunowa zufolge immer noch eine vom Gesetz vorgesehene Strafform, die auch missbraucht werden kann. Die Menschenrechtlerin unterstrich, dass nur ein Moratorium über die Vollstreckung der Todesstrafe die Möglichkeit geben wird, die Gerichtsurteile anzufechten und zu prüfen. (MO)