Kamala Harris: Trump hat Recht auf Wiederwahl verwirkt
8. Oktober 2020Getrennt durch zwei Plexiglasscheiben und mit einem Sicherheitsabstand von 3,7 Metern zueinander lieferten sich Donald Trumps gegenwärtiger Stellvertreter Mike Pence und die demokratische Vize-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris einen Schlagabtausch. Die Corona-Pandemie dominierte wenige Tage nach Bekanntwerden der Infektion von US-Präsident Trump und der zahlreichen Fälle in seinem engen Umfeld die erste halbe Stunde des 90-minütigen Streitgesprächs in der Universität von Salt Lake City.
Senatorin Harris brandmarkte den Umgang der Regierung Trump mit der Pandemie. "Das ist das größte Scheitern einer US-Regierung in der Geschichte unseres Landes." Harris verwies insbesondere auf die Zahl von mehr als 210.000 Corona-Toten in den USA, die höchste Zahl weltweit. Die 55-Jährige zieht als Stellvertreterin des Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Joe Biden, in die Wahl am 3. November.
Pence - er steht der Corona-Task-Force im Weißen Haus vor - verteidigte das Krisenmanagement. Trump habe "vom ersten Tag an" die Gesundheit der US-Bürger an erste Stelle gestellt. Ohne die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen wären noch viel mehr Menschen ums Leben gekommen. Der 61-Jährige warf Harris im Gegenzug vor, das Vertrauen der Bürger in einen künftigen Corona-Impfstoff zu "untergraben".
Biden will Trumps Steuerreform rückgängig machen
Weitere Themen der Debatte befassten sich mit den Möglichkeiten der wirtschaftlichen Erholung, der hohen Arbeitslosigkeit, Steuererhöhungen und den Beziehungen der USA zu China. Biden wolle im Fall seines Wahlsiegs Trumps Steuerreform rückgängig machen, erklärte seine Vize-Kandidatin Harris. Zugleich versicherte sie: "Joe Biden wird für niemanden die Steuern erhöhen, der weniger als 400.000 Dollar (340.000 Euro) im Jahr verdient."
Pence entgegnete: "Joe Biden wird ihre Steuern am ersten Tag erhöhen." Harris warf der Trump-Regierung zudem vor, sie messe den Erfolg ihrer Wirtschaftspolitik daran, wie gut es den Reichen gehe - während sich Biden um die wirtschaftliche Lage der arbeitenden Amerikaner sorgen werde.
Dem erwiderte der republikanische Vize-Kandidat, Trump habe unter anderem mit Steuersenkungen einen wirtschaftlichen Aufschwung und eine schnelle Erholung der Konjunktur in der Corona-Krise erreicht.
Beim Thema Klimaschutz wich Pence der Frage aus, ob er die Erderwärmung für eine existenzielle Bedrohung halte. "Das Klima ändert sich, wir werden der Wissenschaft folgen", sagte Trumps Stellvertreter. Die Vizekandidatin der Demokraten bezeichnete die Klimakrise als "eine existenzielle Bedrohung für uns als Menschen". Harris kündigte an, sollte Biden am 3. November siegen, würden die USA dem Pariser Klimaschutzabkommen "mit Stolz" wieder beitreten.
Das einzige TV-Duell zwischen Pence und Harris war mit besonderer Spannung erwartet worden: Nicht nur hatten Trump und sein Herausforderer Biden sich in der vorigen Woche eine chaotische erste Fernsehdebatte voller Attacken geliefert, in der wenig Raum für politische Inhalte blieb. Wegen Trumps Corona-Infektion ist derzeit zudem unklar, ob die beiden weiteren geplanten TV-Duelle zwischen dem Präsidenten und seinem Rivalen stattfinden werden. Trump hat bereits angekündigt, das nächste TV-Duell mit Biden zu boykottieren. Als Grund nennt er eine Änderung des Formats: "Ich werde meine Zeit nicht mit einer virtuellen Debatte verschwenden", sagte Trump im Fernsehsender Fox Business. Eigentlich sollte das Duell am Donnerstagabend kommende Woche (Freitag MESZ) stattfinden.
Auch wegen des hohen Alters des 74-jährigen Trump und des 77-jährigen Biden liegt in diesem Jahr ein besonders starkes Augenmerk auf den Vize-Kandidaten. Pence oder Harris würden die Amtsgeschäfte des künftigen Präsidenten übernehmen, sollte dieser beispielsweise wegen einer schweren Erkrankung amtsunfähig werden. Sollte Biden die Wahl im November gewinnen, würde die frühere Generalstaatsanwältin des Bundesstaates Kalifornien als erste Frau und erste Schwarze die Vizepräsidentschaft übernehmen.
Umfragen sehen Biden derzeit vor Trump. Das Rennen könnte aber in einer Reihe besonders wichtiger Bundesstaaten sehr eng werden.
Die Debatte der beiden Vize-Kandidaten in Salt Lake City im US-Bundesstaat Utah wurde von der Journalistin Susan Page moderiert. Sie leitet das Hauptstadtbüro der Zeitung "USA Today". Für die wenigen Zuschauer des Duells vor Ort galt eine Maskenpflicht.
se/ww (cnn, ap, rtr, dpa, afp)