Können Verbrechen des Assad-Regimes aufgearbeitet werden?
14. Dezember 2024Mit dem Einzug der syrischen Rebellen in die Hauptstadt Damaskus endete auch die jahrelange Gewaltherrschaft des ehemaligen Machthabers Baschar al-Assad. Diesem werden unter anderem Verbrechen wie Folter und der Einsatz von Giftgas gegen die eigene Bevölkerung vorgeworfen.
Seit dem Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 sind laut dem Syrischen Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) mehr als 15.000 Menschen zu Tode gefoltert worden. Für 98 Prozent dieser Opfer macht die Nichtregierungsorganisation die Streitkräfte des syrischen Regimes verantwortlich, für die übrigen zwei Prozent Milizen - unter anderem die jetzt führende Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS).
Diese wird von einigen westlichen Staaten als Terrororganisation betrachtet. Auch die überwiegende Mehrheit der mehr als 150.000 willkürlichen Verhaftungen, welche das SNHR verzeichnet, soll auf das Assad-Regime zurückgehen.
Während die Situation in Syrien aus westlicher Sicht noch als unübersichtlich gilt, sprechen Mohammed al-Baschir, Chef der Übergangsregierung, und Abu Mohammed al-Dschulani, Anführer der HTS, von einer neuen Zeit des Friedens und der Stabilität.
Damit Syrien jedoch ein neues Kapitel aufschlagen könne, sei es wichtig, dass die Verbrechen des Assad-Regimes aufgearbeitet würden, meint Patrick Kroker von der Menschenrechtsorganisation European Center für Constitutional and Human Rights (ECCHR). Dabei gehe es darum, mögliche Rachegefühle in einen Prozess zu kanalisieren, welcher für die Menschen eine angemessene Reaktion auf die gewaltvolle Vergangenheit sei, sagt der Jurist gegenüber der DW.
Tritt Syrien Strafgerichtshof bei?
Das naheliegendste Gericht für eine Anklage gegen den ehemaligen Machthaber Assad ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Dort wird über die persönliche Verantwortung von Individuen unter anderem für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit entschieden.
Doch weder Syrien noch Russland, in das Assad geflohen ist, sind Vertragsstaaten des Strafgerichtshofes. Damit kann dieser seine Zuständigkeit grundsätzlich nicht ausüben.
Laut Experte Claus Kreß, Professor für Strafrecht und Völkerrecht an der Universität zu Köln, sei es jedoch nicht mehr ganz so selbstverständlich, dass der IStGH außen vor sei. Zwar dürfte die Möglichkeit, die Zuständigkeit durch einen UN-Sicherheitsratsbeschluss zu aktivieren, einstweilen weiterhin an einem russischen Veto scheitern, sagt er im Gespräch mit der DW.
Doch eine neue syrische Regierung hätte die Möglichkeit, den Beitritt Syriens zum IStGH-Statut zu erklären. Auch könnte sich Syrien unter einer neuen Regierung der Zuständigkeit des IStGH nach dessen bisheriger Rechtsprechung rückwirkend unterwerfen.
"Damit wäre dann rechtlich auch Assad im Visier des Strafgerichtshofes", so der Experte für Völkerstrafrecht. Politisch hält Kreß es allerdings in der näheren Zukunft für ausgeschlossen, dass Russland Assad an den Gerichtshof überstellt.
Strafrechtliche Aufarbeitung im Land selbst
Der Menschenrechtsexperte Kroker vermutet, dass auch eine neue syrische Regierung sich nicht dem Haager Gerichtshof anschließen wird. Es zeichne sich ab, dass die Gerechtigkeitsfrage im Land selbst entschieden werden solle.
HTS-Anführer Dschulani (bürgerlicher Name Ahmed al-Scharaa) hat laut Agenturberichten bereits angekündigt, eine Liste der Ex-Offiziere zu erstellen, die an Folterhandlungen beteiligt waren und diese zur Rechenschaft ziehen zu wollen - auch jener, die ins Ausland geflohen sind.
Für die Aufarbeitung im Land könnte es sich empfehlen, die Definitionen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen in das syrische Strafgesetzbuch aufzunehmen, sagt Kreß. In den nationalen Gesetzen fänden sich solche Regelungen häufig nicht.
Auch müsse geprüft werden, ob die noch bestehenden syrischen Strukturen der Gerichtsbarkeit für einen solchen Prozess der strafrechtlichen Aufarbeitung geeignet sind, betont der Völkerrechtsprofessor.
Kroker hält ein Modell für wahrscheinlich, in dem es syrische und internationale Komponenten geben wird. Denn es stelle sich die Frage, ob es in Syrien ausreichend Fachpersonal wie etwa unabhängige Richterinnen und Richter gebe.
Aber auch andere Experten seien erforderlich: "Das Wichtigste ist, dass mit diesem Wahnsinnsfundus an Beweismitteln fachkundig umgegangen wird", betont Kroker, der beim ECCHR die Arbeit zu Syrien leitet.
Beweismittel müssen gesichert werden
So dürften etwa Massengräber nicht unfachmännisch geöffnet werden, oder - bei allem Verständnis für die Menschen vor Ort-Tatorte wie etwa das Saidnaja-Gefängnisoder Beweismittel wie Geheimdienstunterlagen nicht zerstört werden. Sie müssten durch Experten gesichert werden.
Initiativen zur Sicherung von Beweismitteln gibt es bereits auf UN-Ebene: So sammelt der "Internationale, unparteiische und unabhängige Mechanismus" (IIIM) Informationen und Beweise zu möglichen Verbrechen in Syrien seit 2011 und stellt diese Gerichten zur Verfügung.
Gerichtsverfahren in anderen Staaten
Auch in Drittstaaten, wie etwa Deutschland und Frankreich, kam es bereits zu Verfahren wegen Verbrechen in Syrien. So wurde 2022 in Koblenz ein früherer Geheimdienstoberst zu lebenslanger Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Auch in den USA wurde gerade erst ein früherer Leiter eines syrischen Gefängnisses wegen Foltervorwürfen angeklagt.
Bislang sei diese Art von Verfahren "das bestmögliche Mittel zur Aufarbeitung" gewesen, sagt Kroker. Doch nun sei die Situation eine andere, da man Zugang zu den Beweismitteln und den potenziellen Tätern hätte. Er wünscht sich einen internationalen Vorstoß, um die neue syrische Regierung davon zu überzeugen internationale Experten zur Unterstützung ins Land zu lassen.