Junge Kultur in verwaisten Häusern
5. Oktober 2013Das kleine Ladenlokal ist hell erleuchtet, vor dem Eingang stehen Fahrräder. "Es passiert häufiger, dass Leute reinkommen und fragen, ob sie hier ihr Fahrrad reparieren lassen können", sagt Jakob Bogatzki. Er erklärt den Besuchern dann, dass sie selbst mit anpacken müssen, wenn sie ihre Gangschaltung justieren oder eine Reifenpanne beheben wollen. Denn das Ladenlokal trägt nicht ohne Grund den Namen "MachWerk": Hier im Berliner Stadtteil Wedding können Besucher auch Möbel bauen, Elektrogeräte reparieren, Fotos entwickeln, Siebdruck-Techniken erlernen oder Dekorationsobjekte herstellen.
Das "MachWerk" ist einer von sechs Orten in Berlin, an denen Jugendliche im Rahmen des Projektes "Junge Pächter" ihre Ideen verwirklichen können - und zwar auch in Stadtteilen, in denen die Arbeitslosigkeit hoch und die Zukunftsperspektiven für junge Leute schwierig sind wie in Wedding. "Viele von uns kommen aus einem bildungskritischen Umfeld", erklärt "MachWerk"-Mitbegründer Bogatzki. "Unser Ziel ist es, eine neue Form von Lernen zu etablieren." Jeder gibt seine Kenntnisse weiter, so dass Interessierte kostenlos neue Fähigkeiten erwerben können.
Eigene Ideen in Projekte umsetzen
In verschiedenen Stadtteilen Berlins haben Studenten, junge Berufstätige, Auszubildende, Arbeitslose und Schüler in zuvor leerstehenden Räumen Schreib-Werkstätten oder Foto-Labore aufgebaut. Sie spielen Theater, fotografieren, machen Musik und drehen Filme. Die Erfinder und Macher des Projektes kommen vom JugendKunst- und Kulturhaus Schlesische27 in Berlin-Kreuzberg. "Wir haben die meisten der Räume im Sommer 2011 eröffnet, aber die Idee ist schon einige Jahre älter", sagt Projektleiterin Stephanie Steinkopf.
2008 befragten 25 Jugendliche ihre Altersgenossen auf der Straße nach ihren Wünschen bezüglich kultureller Angebote. Im Jahr 2010 gründete sich in der Schlesischen27 ein "Junger Rat", der einen Dialog zwischen jungen Leuten, Kulturinstitutionen und Politik schuf. "Der wichtigste Kritikpunkt der Jugendlichen war, dass sie zu wenig Gelegenheiten für selbst organisierte Projekte sahen", sagt Steinkopf. Sie und ihre Kollegen nahmen diesen Impuls auf und entwickelten das Konzept für die "Jungen Pächter".
Hohe Auszeichnung für die Pächter
Als eines von drei Projekten bekam es Mitte September vom deutschen Kulturstaatssekretär Bernd Neumann den mit jeweils 20.000 Euro dotierten Preis Kulturelle Bildung verliehen. Damit werden innovative Projekte ausgezeichnet, die nachhaltig wirken und Menschen erreichen, die bisher kaum oder gar nicht von kulturellen Angeboten profitieren. Denn die Grundidee der "Jungen Pächter" ist es, den urbanen Leerstand sozialer Brennpunktviertel für Jugendliche zu nutzen - und ihnen so eine Chance auf Bildung und Arbeit zu geben.
Geeignete Räumlichkeiten fanden die Organisatoren unter anderem in einem alten Kutscherhaus ohne Heizung, einer heruntergekommenen Kneipe und im Keller einer ehemaligen Brauerei. Wichtig ist den Verantwortlichen, dass die Angebote junge Leute aus allen sozialen Schichten erreichen. Im ersten Jahr nach der Gründung seien die Jugendlichen vor allem mit dem Aufbau ihrer eigenen Projekte beschäftigt gewesen, doch mittlerweile gebe es einen regen Austausch untereinander, sagt Steinkopf.
Neue Förderer gesucht
"Wenn zum Beispiel in Spandau oder Marzahn Plakate gebraucht werden, dann fährt man in die Druckwerkstatt im Wedding." Die Schlesische27 fördert diese gegenseitige Unterstützung mit regelmäßigen Gesprächsrunden und mit Workshops, bei denen Interessierte aus allen Räumen sich zum Beispiel im Fotografieren oder Filmen weiterbilden können. Die Finanzierung des gesamten Angebots hat der Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung übernommen, der die "Jungen Pächter" mit 120.000 bis 140.000 Euro im Jahr fördert.
Auch die Mitwirkenden des "MachWerk" in Wedding haben schon die Räume der "Jungen Pächter" in anderen Stadtteilen besucht - und fühlten sich inspiriert. "Das ist wirklich spannend, wie unterschiedlich die Angebote sind", sagt Fahrrad-Spezialist Georg Rettner. Er und seine Mitstreiter hoffen, dass sich ein neuer Förderer findet, wenn die Finanzierung durch den Projektfonds Kulturelle Bildung im kommenden Jahr ausläuft. Denn sie haben noch einiges vor: "Wir haben so viele künstlerische und handwerkliche Angebote, die wir erhalten und ausbauen wollen. Eigentlich müssten wir dafür sogar in größere Räume umziehen", sagt Jakob Bogatzki.