Miniaturstadt "Neustadt": Visionen der 1970er-Jahre
Ein Projekt mit Zukunft: Die Haus-Skulpturen von Julius von Bismarck und Marta Dyachenko erwecken abgerissene Gebäude wieder zum Leben - als Kunstobjekt.
Die "Neustadt" kommt an...
Eine lange Reise haben die 21 Haus-Skulpturen hinter sich: von Berlin nach Duisburg, via Binnenschiff. Entstanden sind die Arbeiten in der Atelier-Werkstatt von Julius von Bismarck (Foto), in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Marta Dyachenko. Einige wurden im Ruhrgebiet in Beton gegossen. Die Originale - Gebäude und Hochhäuser - sind längst abgerissen, Zeitzeugen einer überholten Baukultur.
Politisch ambitioniertes Projekt
Fest vertäut wurden die Skulpturen vom Duisburger Binnenhafen per Tieflader zum Landschaftspark Duisburg-Nord transportiert. Ein poetischer Name für ein unwirtliches Abraumgelände, auf dem Birken und andere Bäume versuchen, ein Wäldchen zu bilden. Von Menschen gebaute Natur, direkt neben der Autobahn. Den Platz für die Installation "Neustadt" haben die beiden Künstler bewusst ausgesucht.
Kirche als Kunstobjekt
Außer den modernen Hochhäusern und historischen Gebäuden sind auch drei Kirchen dabei. Diese hier wurde im Jahr 1904 gebaut und stand bis 2015 in Essen-Kupferdreh: ein Kulturdenkmal aus dem 20. Jahrhundert. Und dennoch wurden diese und zwei weitere Kirchen entweiht und abgerissen. Heute würde man anders entscheiden, gibt Julius von Bismarck zu bedenken, und sie in Hotels oder Wohnraum umwidmen.
Tonnenschwere Objekte
Auch wenn sie auf den ersten Blick fragil aussehen, sind die Skulpturen doch tonnenschwer. Die Miniatur-Kirche St. Joseph wiegt 1800 Kilogramm. Andere Betonobjekte sogar mehr als zehn Tonnen. Für die Installation am Emscherkunstweg musste deshalb extra ein Schwerlastkran anrücken, um die Hausobjekte an ihrem neuen Standort zu platzieren. Eine präzise Millimeterarbeit für Team und Bauleiter.
Künstler-Baustelle
Das internationale Team an Projektmitarbeitern aus der Ukraine, aus Spanien, Frankreich und der Schweiz war aus Berlin mit angereist. Unterstützt wurden sie von ortskundigen Baufachleuten der Emscher-Genossenschaft. Jeder Handgriff musste sitzen, die Zeit für den Aufbau war knapp. Und das Wetter spielte nicht immer mit. Einige der Betonfundamente mussten bei Hagel und Regen gegossen werden.
Feinschliff der Fassaden
Die Skulpturen sind aus unterschiedlichen Materialien gefertigt: Stahl, Edelstahl, Aluminium und viel Beton. Manche Hochhaus-Skulpturen haben ein Innenleben: Flure, kleine Durchblicke - konstruiert wie ein echtes Haus. An den Fassaden und Plexiglasscheiben klebten nach dem Betonguss noch Silikonreste. Projektmitarbeiterinnen Marie (r.) und Isabel hatten viel zu tun mit der Säuberung der Außenhaut.
Futuristisches Spaßbad
Ab dem 1. Mai wird die Baustelle zur "Neustadt". Die künstlerisch interpretierten Gebäude erinnern an Zeiten, als der industrielle Aufschwung Zehntausende von Arbeitern ins Ruhrgebiet lockte. Untergebracht wurden sie in Wohntürmen und Hochhäusern. Futuristische Allwetter-Bäder, wie dies Spaßbad in Schwerte, spielten damals eine wichtige Rolle als Freizeitangebot.
Nachkriegsmoderne im Ruhrgebiet
Jede Zeit hat ihre Architektur - und ihre Bauruinen. Was in den 1960er- und 1970er-Jahren modern war, gilt heute als überholt. Vielfach war Asbestsanierung nötig, moderne Architekturperlen des Ruhrgebiets waren nicht zu retten. Sie wurden gesprengt und abgerissen. Wie etwa das "Haus der Erwachsenenbildung" in Essen, von dem Kuratorin Britta Peters zufrieden auf die "Neustadt" blickt.