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Juden in Weißrussland beklagen mangelnde Vermittlung des Wissens über den Holocaust

24. Oktober 2003
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Minsk, 22.10.2003, BELAPAN, weißruss.

Im Haus der jüdischen Gemeinde in Minsk hat am 22. Oktober ein internationales Rundtisch-Gespräch stattgefunden, das die Vermittlung des Wissens über die Geschichte des Holocaust, das Gedenken an die jüdischen Nazi-Opfer und die Gerechten der Völker zum Thema hatte. Organisiert wurde die Veranstaltung, die dem 60. Jahrestag des Massakers im Ghetto von Minsk gewidmet war, vom Verband weißrussischer jüdischer Organisationen und Gemeinden.

Nach Worten von Ina Herasimawa, Dr. der Geschichtswissenschaften und Vorsitzende der Nationalen Holocaust-Stiftung, fällt es vielen Juden in Weißrussland immer noch schwer, offen über ihre Nationalität zu sprechen und viele weigern sich, sich an dem Holocaust gewidmeten Veranstaltungen zu beteiligen. "So kamen von den 226 Beiträgen zu einem Wettbewerb mit dem Thema 'Holocaust. Geschichte und Gegenwart' nur drei aus den jüdischen Kreisen des Landes", sagte Herasimawa. Trotz langjähriger Bemühungen der jüdischen Öffentlichkeit gehöre der Holocaust nicht zum Unterrichtsstoff an den Gymnasien, weil es an Unterstützung der Regierung, insbesondere des Ministeriums für Bildung und Kultur, fehle.

Emanuil Iofe, Dr. der Geschichtswissenschaften, sagte, nach seinen Schätzungen seien während des Zweiten Weltkriegs 805 000 Juden in Weißrussland umgekommen, darunter 90 000 Menschen, die aus Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und Frankreich deportiert worden waren. Der Wissenschaftler gab in diesem Zusammenhang seiner Verwunderung Ausdruck, dass in Band 16 der weißrussischen Enzyklopädie unter dem Stichwort "Holocaust" die Vernichtung von Juden in Weißrussland in den Jahren 1941-44 nicht erwähnt wird. "Und diese offizielle Ausgabe ist ein Beweis für den Standpunkt des Staates", so der Wissenschaftler. Er fuhr fort, die Regierung sollte die Mitschuld der weißrussischen Nation an der Tragödie des jüdischen Volkes anerkennen, wie es die litauische, die polnische und die ukrainische Regierung bereits getan hätten. (...)

(Der Vizepräsident des Verbandes weißrussischer jüdischer Organisationen und Gemeinden - MD) Yakaw Basin erklärte, staatlichen Antisemitismus gebe es nicht, denn "es gibt kein staatliches Programm, das auf die Diskriminierung der Juden in Weißrussland abzielt".

Der Vorsetzende des in den USA registrierten Weltverbandes weißrussischer Juden, Yakaw Hutman, vertritt hingegen die Ansicht, dass es in Weißrussland Erscheinungen eines staatlichen Antisemitismus gibt. "Der Staat weigert sich, ermutigt durch das Schweigen der weißrussischen jüdischen Gemeinde, die Herausgeber und Vertreiber antisemitischer Schriften und diejenigen, die jüdische religiöse Stätten und Friedhöfe in diesem Lande zerstören, zur Verantwortung zu ziehen", erklärte Hutman. (...) (TS)