Jemeniten: Zwangsrekrutiert für Russlands Armee?
10. Dezember 2024Ahmad (Name von der Redaktion geändert) hatte kein Glück. Wie ein enger Freund seiner Familie berichtet, habe er sich von einem Vermittler für eine Arbeit in Russland anwerben lassen. Die Bezahlung sei gut, soll dieser ihm versprochen haben. Ahmad ging auf das Angebot ein. Doch statt wie versprochen in einem russischen Kohlebergwerk habe er sich kurze Zeit später gegen seinen Willen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wiedergefunden. Dort sei man sehr rücksichtslos mit ihm umgegangen, berichtet der Freund von Ahmads Familie der DW. "Dann wurde er gezwungen, an der Front zu kämpfen."
Ähnliche Aussagen machten auch andere jemenitische Zeugen gegenüber der DW. Auch sie berichten von Freunden oder Bekannten, die unter falschen Versprechungen nach Russland gelockt worden seien. Dort seien sie dann jedoch an die Front im russisch-ukrainischen Krieg geschickt worden.
Er habe einen Freund, der sich derzeit an der Front befinde, sagt ein Zeuge im Jemen der DW. Er und die anderen Jemeniten seien von allen Kommunikationsmitteln abgeschnitten. Der Kontakt laufe allein über eine Person, die in der Lage sei, der Familie heimlich aufgezeichnete Nachrichten ihres Sohnes und Bruders zukommen zu lassen. "Niemand kann ihn erreichen, niemand kann ihm helfen. Die Jemeniten an der Front sind völlig isoliert", so der Zeuge. Sein Freund gehöre zu einer Gruppe von 24 Personen. Diese seien in den Städten Sanaa und Taiz und deren Umgebung rekrutiert worden.
Falsche Versprechen
Die Aussagen der Zeugen, mit denen die DW sprach, decken sich mit den Recherche-Ergebnissen der jemenitischen Menschenrechtsorganisation SAM mit Sitz in Genf, auf deren Recherchen sich auch das US-Außenministerium in seinen Jemen-Berichten beruft. Die Zahl der an der russisch-ukrainischen Front kämpfenden Soldaten lasse sich nicht exakt benennen, sagt der Direktor von SAM, Tawfik al-Hamidi, im Gespräch mit der DW. "Es könnten 500 bis 700 sein, womöglich aber auch etwas weniger."
Die jungen Männer würden durch ein international operierendes Netzwerk rekrutiert. "Dessen Mitarbeiter versprechen ihnen nicht-militärische Jobs in Russland. Dabei, erklären sie ihnen, könnten sie bis zu 10.000 US-Dollar verdienen."
Getrieben von der Not
Dass die jungen Menschen darauf eingingen, sei vor allem der Situation im Jemen nach gut zehn Jahren Krieg geschuldet. "Es gibt kaum Zukunftsperspektiven, zudem können viele Menschen die enormen Preissteigerungen kaum mehr bewältigen. Einige Menschenhändler haben diese Situation für ihre Zwecke ausgenutzt und junge Jemeniten angeworben."
Ähnliches berichten auch die von der DW kontaktierten Zeugen aus dem Jemen. Die meisten Personen der ihm bekannten 24-köpfigen Gruppe von Betroffenen seien nicht verheiratet, sagt einer der Zeugen. "Einer der Kämpfer hatte sich kurz zuvor aufgrund finanzieller Schwierigkeiten von seiner Frau getrennt. In dieser belastenden Situation ließ er sich anwerben." Ähnlich gehe es auch anderen Betroffenen, so der Zeuge. "Ihre finanzielle Situation ist sehr schwierig." So hätten sie sich darauf eingelassen, in den Oman zu reisen, wo sie die entsprechenden Verträge unterzeichnet hätten. "An die möglichen Konsequenzen haben die jungen Männer nicht gedacht."
Die Rolle der Huthi
Als erstes westliches Medium hatte die Financial Times (FT) über jemenitische Kämpfer im Ukraine-Krieg berichtet . In den von den Jemeniten unterzeichneten Verträgen, die der FT vorliegen, wird ein Unternehmen aufgeführt, das von einem prominenten Politiker der radikal-islamistischen Huthi-Milizen, Abdulwali Abdo Hassan al-Jabri, gegründet wurde. Das Unternehmen sei im Oman als Reiseveranstalter und Einzelhändler für medizinische Ausrüstung und Arzneimittel registriert, so die FT.
Dem Report der Menschenrechtsorganisation SAM zufolge ist in die Rekrutierung auch eine nicht identifizierte Person namens "Dmitry" verwickelt, die im russischen Konsulat im Oman arbeitet und auch in Al-Jabaris Büro aktiv sein soll. "Dmitrys Rolle war von zentraler Bedeutung für die Erleichterung von Operationen zwischen den Parteien", heißt es im Report von SAM. "Das deutet auf ein hohes Maß an Koordination zwischen ihnen (den Russen und den Huthi, Anm. d. Red.) hin."
Die Jemeniten hätten Verträge unterzeichnet, die meist nicht ins Arabische übersetzt und darum von ihnen auch nicht ausreichend verstanden worden seien, so SAM. So fänden sie sich in Russland in ganz anderen Situationen wieder als jenen, die man ihnen mündlich versprochen habe. "Nach ihrer Ankunft werden sie schweren Misshandlungen ausgesetzt", heißt es in dem Report. "Unter anderem werden sie gezwungen, unter harten und unmenschlichen Bedingungen zu kämpfen. Sie erhalten kaum Nahrung und keine medizinische Versorgung." Durch den Beschuss an der Front würden sie entweder verletzt oder getötet, so der Bericht der jemenitischen Menschenrechler.
Söldner gegen Rekruten
Die Rekrutierung diene den Interessen der Huthi ebenso wie denen Russlands, heißt es ergänzend in einem Report der US-Denkfabrik Atlantic Council. So stocke Russland mit den jungen Jemeniten seine personell ausgedünnte Armee auf. "Ihre Rekrutierung ist Teil einer größeren russischen Anstrengung, Migranten aus dem Jemen sowie aus Nepal, Indien und Nordkorea zu rekrutieren, um schwere Verluste auf dem Schlachtfeld auszugleichen." Die Huthi hingegen, so der Atlantic Council unter Bezug auf einen Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, erhielten für ihre Dienste finanzielle Zuwendungen, vor allem aber auch moderne russische Raketen. Diese setzten sie bei ihren Attacken auf die internationale Schifffahrt im Roten Meer ein. Generell gehe es den Huthi darum, ihre Verbindungen zu Russland zu vertiefen. Russland seinerseits suche im Nahen Osten verstärkt Kontakt zu Gruppen, die den USA feindlich gesonnen sind.
Die jungen Jemeniten, die sich haben anwerben lassen, waren sich der Konsequenzen ihrer Entscheidung offenbar überhaupt nicht bewusst. Mittlerweile, sagt ein Zeuge der DW, hätten die meisten Familien den Kontakt zu ihnen verloren. "Sie wissen nicht, wie es ihnen geht. Es heißt nur, einige würden vermisst, andere seien inhaftiert und wieder andere seien getötet worden."