Jemen: Erpressen die Huthi internationale Reedereien?
14. November 2024Ist es möglich, dass internationale Reedereien monatlich 180 Millionen an die Huthi-Miliz im Jemen zahlen? Davon geht offenbar ein von den Vereinten Nationen eingesetztes Expertengremium aus, das die militärischen Aktivitäten der Huthi überwachen soll. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht für den UN-Sicherheitsrat heißt es, die Miliz verlange womöglich Millionenbeträge von Schiffseignern. Im Gegenzug würden deren Schiffe, die das Rote Meer passieren, nicht attackiert. Die strikt anti-westlich positionierten und vom Iran unterstützten Huthi attackieren dort regelmäßig Schiffe und begründen dies mit Israels Kriegseinsatz im Gazastreifen und ihrer eigenen Solidarität mit den Palästinensern.
Die von dem Gremium befragten Quellen schätzten die Einnahmen der Huthi aus solchen Schutzgeld-ähnlichen Erpressungsgeschäften auf rund 180 Millionen Dollar (169 Millionen Euro) pro Monat, heißt es in dem Dokument. Das Geld werde den Huthi über das informelle Geldtransfernetzwerk "Hawala" überwiesen. Die UN-Experten räumen jedoch ein, dass sie die Informationen nicht unabhängig überprüfen konnten.
Die Zahlen ergeben keinen Sinn - kritisiert deshalb auch der auf Piraterie und maritimen Terrorismus spezialisierte Anwalt Stephen Askins von der britischen Kanzlei Tatham & Co gegenüber der DW. "Sieht man sich die Anzahl der womöglich noch gefährdeten Schiffe an, dann bleibt nur eine Handvoll übrig, für die sich eine Zahlung lohnen könnte." Die Eigner der meisten die Meerenge passierenden Schiffe gingen davon aus, dass diese nicht gefährdet seien. So wurden insbesondere Schiffe, die russischen oder chinesischen Interessen dienen, in aller Regel nicht von den Huthi angegriffen.
Experten haben teilweise Zweifel
"Es ist nicht auszuschließen, dass einige Reedereien sich entscheiden, für eine sichere Durchfahrt zu zahlen" - meint hingegen Lars Jensen, Leiter des dänischen Schifffahrts-Nachrichtendienstes Vespucci Maritime. "Aber der genannte Betrag erscheint unrealistisch."
Jensen verweist auf einen UN-Bericht aus dem Jahr 2013. Dieser ging davon aus, dass somalische Piraten in sieben Jahren bis zu 413 Millionen Dollar erbeuteten: "Allein aus dieser Perspektive scheint die Vorstellung, dass die Huthi 180 Millionen Dollar im Monat verdienen, völlig realitätsfern", so Jensen im DW-Gespräch.
Anwalt Askins wiederum hält es für unwahrscheinlich, dass das Hawala-System genutzt wird, um Millionen nach Jemen zu schicken. Hawala ist ein weltweites informelles Überweisungssystem unter Ausschluss von Banken, das seine Wurzeln im frühmittelalterlichen Handel des Vorderen und Mittleren Orients hat. Man könne nichts grundsätzlich ausschließen, schrieb Askins dieser Tage auf LinkedIn. "Aber handeln Schiffseigner in der Branche so? Eher nicht (...)"
Verdacht ist nicht neu
Die These, die Huthi verdienten auf diese Weise Geld, scheint erstmals im Februar von einer jemenitischen Organisation namens Sheba Intelligence veröffentlicht worden zu sein. Diese behauptete, Schiffseigner zahlten den Huthi zwischen einer halben und einer Million Dollar für eine sichere Durchfahrt. Dieser Betrag ist immer noch geringer als die Kosten der längeren und teureren Route um Afrika, die viele Schiffe derzeit nehmen, um der Bedrohung durch die Huthi zu entgehen.
Sheba Intelligence, nach eigenen Angaben ein Open-Source-Ermittlungsportal, hat keine funktionierende Website. Zudem lieferte die Organisation keine Beweise für ihre Behauptungen. Anfragen der DW blieben ebenfalls unbeantwortet.
Kontakte mit Schiffseignern
Klar ist, dass die Huthi über ihr so genanntes "Humanitarian Operations Coordination Center" (HOCC) mit Schifffahrtsunternehmen in Kontakt stehen. Das Zentrum wurde im Februar gegründet und soll angeblich die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung abmildern. Den Huthi zufolge soll es sich "an die islamischen Lehren halten und das humanitäre Völkerrecht respektieren".
Das HOCC wird von Ahmed Hamed geleitet, der für seine engen Kontakte zur Huthi-Führung bekannt ist. Er kontrolliert laut Experten auch jene Organisation, die die humanitäre Hilfe überwacht, die in die von den Huthi kontrollierten Teile Jemens gelangt. Der jemenitischen Denkfabrik "Sanaa Center for Strategic Studies" zufolge veruntreut Hamed angeblich Gelder der örtlichen Behörden für Jugendfürsorge, Sport, Renten und auch für Religion.
Es sei durchaus plausibel, dass die Huthi das HOCC nutzten, um Einkünfte zu generieren, sagt auch Mohammed Albasha, Gründer der der auf den Nahen Osten und den Jemen spezialisierten Beratungsfirma Basha Report, der DW. "Ich habe zwar keine konkreten Informationen, die die Erklärung stützen. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn sie tatsächlich begännen, mit einem virtuellen Kontrollpunkt Einnahmen zu erzielen."
"In diesem Szenario könnte das HOCC den Schiffen zunächst eine Registrierungsgebühr berechnen und später Zahlungen für eine sichere Durchfahrt verlangen", so Albasha weiter. "Ein Präzedenzfall hierfür findet sich in den frühen 2010er Jahren, als Unternehmen mit Verbindungen zum jemenitischen Militär mit maritimen Sicherheitsmaklern zusammenarbeiteten. Sie mieteten jemenitische Kriegsschiffe und Seeleute als Eskorte für Schiffe, die den von Piraterie heimgesuchten Golf von Aden durchquerten. Die Kosten betrugen damals bis zu 55.000 Dollar pro Schiff und Fahrt."
Zweifel an UN-Zahlen
Doch auch Albasha bezweifelt die von den UN-Experten genannte Zahl von 2,2 Milliarden Dollar Einnahmen jährlich. "Zum Vergleich: Die Einnahmen aus dem Suezkanal sanken im Mai 2024 um 64,3 Prozent und fielen von 648 Millionen Dollar (608 Millionen Euro) im Mai 2023 auf 337,8 Millionen Dollar (317 Millionen Euro). Die Huthi kontrollierten weder den Kanal noch die gesamte Küste des Roten Meeres. Die Behauptung, sie setzten in einer Region, in der die Schifffahrtsaktivität halbiert ist, monatlich fast 200 Millionen Dollar (187 Millionen Euro) um, ist schwer zu glauben."
Aus dem Englischen von Kersten Knipp