Japan nach dem Erdbeben: Rettung läuft an
2. Januar 2024Nach dem heftigen Erdbeben am Nachmittag des Neujahrstages kamen die Rettungsarbeiten auf der am schwersten betroffenen Noto-Halbinsel auf der Westseite von Japan am Dienstag nur langsam voran. Wichtige Brücken und Straßen, die in das Katastrophengebiet führen, waren beschädigt oder komplett unterbrochen, so dass erste Hilfslieferungen zunächst steckenblieben.
Der Asphalt war vielerorts aufgebrochen. Bodenspalten, umgekippte Strommasten, Erdmassen und umgefallene Häuser blockierten viele Durchfahrten. "Es ist äußerst schwierig, mit Fahrzeugen in die nördlichen Gebiete der Noto-Halbinsel zu gelangen", berichtete Japans Premierminister Fumio Kishida. Deswegen koordiniere die Zentralregierung den Transport der Hilfsgüter mit Schiffen. Rund 10.000 Soldaten wurden für die Rettungs- und Hilfsmaßnahmen mobilisiert.
Starkbeben
Das Epizentrum des Erdbebens, das sich am 1. Januar um 16.10 Uhr Ortszeit ereignete, lag 30 Kilometer nordöstlich von Wajima in 16 Kilometer Tiefe an der Küste der Noto-Halbinsel in der Präfektur Ishikawa und erreichte nach Angaben des Meteorologischen Amtes die maximale Stärke 7 auf der japanischen Intensitätsskala, die die Auswirkungen eines Bebens auf Menschen und Gebäude beschreibt. Die Richterstärke wurde mit 7,6 angegeben. Es war das schwerste Erdbeben auf der Halbinsel seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1885. Das Wetteramt warnte vor noch stärkeren Folgebeben in den nächsten Tagen und Wochen.
Die lokalen Behörden korrigierten im Lauf des Dienstags die Angaben zur Zahl der Opfer fast stündlich nach oben. Allein sieben Patienten starben unter ungeklärten Umständen im städtischen Krankenhaus von Wajima. In der Küstenstadt brach kurz nach dem Erdbeben ein Großfeuer aus, das während der Nacht über 200 Wohn- und Geschäftshäuser rings um den Marktplatz vernichtete. Ein siebenstöckiges Haus mit Wohnungen kippte auf die Seite und begrub die nebenstehenden Häuser unter sich. Das Beben beschädigte auch Gebäude und Straßen in der Touristenhochburg Kanazawa. Auf dem Parkplatz eines Krankenhauses der Universität Kanazawa wurden Stühle aufgestellt, die die Buchstaben S.O.S. bildeten.
Rettungsaktionen laufen an
Freiwillige Helfer, Polizisten und Soldaten versuchten, unter den Trümmern verschüttete Menschen zu bergen. Dabei mussten sie wegen der ständigen Nachbeben vorsichtig vorgehen. Eintausend Anwohner wurden auf den Luftwaffenstützpunkt der Selbstverteidigungskräfte in Wajima evakuiert und erhielten dort Decken, Wasser und Lebensmittel. Insgesamt wurden rund 100.000 Menschen in fünf Präfekturen zur Evakuierung aufgefordert.
Neujahr ist der höchste Feiertag in Japan, in seiner Bedeutung vergleichbar mit Weihnachten in Deutschland. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, die Familien treffen sich.
Tsunami-Warnung aufgehoben
Die Erdstöße lösten Tsunami-Wellen aus, die beim Auftreffen auf die Küste eine Höhe von bis zu 1,20 Meter erreichten. Fernsehbilder zeigten Fischerboote, die kieloben im Wasser trieben oder an Land gespült waren. Eine Sprecherin im öffentlich-rechtlichen TV-Sender NHK rief mit sich überschlagender Stimme alle Anwohner auf, sofort höhergelegene Gebiete aufzusuchen.
Das Wetteramt warnte vor bis zu fünf Meter hohen Flutwellen. Dieser erste große Tsunami-Alarm seit März 2011 rief bei vielen Japanern Erinnerungen an die damalige Katastrophe mit rund 20.000 Opfern und der Havarie im AKW Fukushima wach.
Auch Nordkorea und Russland warnten Schiffe und Küstenbewohner vor den Flutwellen aus Japan. Alle japanischen Tsunami-Warnungen wurden am Dienstag um 10 Uhr Ortszeit aufgehoben.
Keine "Unregelmäßigkeiten" in AKWs
In den sechs Atomkraftwerken mit 22 Reaktoren an der Westküste kam es nach offiziellen Angaben zu keinen "Unregelmäßigkeiten". Damit ist der Austritt von Radioaktivität gemeint. Die nächst gelegenen zwei Reaktoren im AKW Shika, rund 100 Kilometer vom Epizentrum entfernt, sind seit der Atomkatastrophe vor fast 13 Jahren abgeschaltet. Der AKW-Betreiber meldete, dass aus den Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente Wasser geschwappt sei. Eine Pumpe für das Becken sei knapp eine Stunde ausgefallen. Außerdem sei es zu einem Transformatorenbrand auf dem Gelände des Atommeilers gekommen.
Die Shinkansen-Superschnellzüge nahmen bereits weniger als 24 Stunden nach der Katastrophe ihren Betrieb wieder auf. Nach Angaben von West Japan Railway saßen rund 1.400 Fahrgäste in vier Zügen für etwa elf Stunden fest, bis die Sicherheit der Gleise und anderer Bahneinrichtungen überprüft werden konnte.