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Politik

Italien: Feministinnen wehren sich

Ylenia Gostoli ah
24. November 2018

Frauenrechtsorganisationen in Italien kämpfen gegen Gewalt an Frauen und gegen einen Gesetzentwurf, der den Fortschritt der Frauenrechte in Italien um 40 Jahre zurückwerfen könnte. Ylenia Gostoli berichtet aus Rom.

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Italienische Aktivistinnen kämpfen für ihre Rechte | Anti-Gewalt Zentrum Donna LISA
Bild: DW/Y. Gostoli

In einer einfachen Wohnung in einem unscheinbaren Wohnblock im Norden Roms ist das Frauenhaus Donna LISA zu Hause. Der Stadtteil liegt fernab von dem Glanz, den die Besucher Roms für gewöhnlich suchen. Tania La Tella steigt eine metallene Feuertreppe hinauf. Sie ärgert sich, dass die Bewohner des Wohnblocks den Mitarbeitern des Frauenhauses verbieten, den Haupteingang zu benutzen. "Als ob wir hier Partys feiern würden", sagt sie. Obwohl das Donna LISA seit mehr als 20 Jahren den Frauen aus der Nachbarschaft einen Zufluchtsort bietet, droht dem Frauenhaus die Schließung. Im April 2017 hatte die Stadtverwaltung begonnen, Mietrückstände von den Organisationen einzutreiben, die städtische Gebäude nutzen. Das Donna LISA hatte Schulden in Höhe von 40.000 Euro bei der Stadtverwaltung angesammelt.

Das Frauenhaus bietet eine Anlaufstelle und einen 24-Stunden-Notruf für Frauen, die vor häuslicher Gewalt fliehen. Betrieben wird es ausschließlich von Ehrenamtlichen. Sie beraten die betroffenen Frauen, begleiten sie zu Gerichtsverhandlungen und besuchen Schulen, um auf das Problem häuslicher Gewalt aufmerksam zu machen. La Tella engagiert sich seit fast 20 Jahren in dem Frauenhaus. Die Lage habe sich verändert, sagt sie.  

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Die italienische Aktivistin Tania La Tella kämpft für ihre Rechte Bild: Tania La Tella

Leichter Wandel zum Besseren

"Vor einigen Jahren noch haben uns vermehrt Frauen aufgesucht, die nicht aus der Nachbarschaft kamen. Sie wollten nicht erkannt werden, was alleine das Heraufkommen über diese Stufen schwierig gemacht hat", sagt sie. "In der Regel haben die Familien der Frauen sie nicht gegenüber ihren gewalttätigen Ehemännern unterstützt. Stattdessen haben sie gesagt: 'Aber er ist immer noch dein Ehemann.'" Mittlerweile reagierten die Frauen schneller, sagt La Tella der DW.

Tratzdem machen sich La Tella und ihre Kollegen in ganz Italien Sorgen. Ein neuer Gesetzentwurf könnte sie im Kampf für Frauenrechte um Jahre zurückwerfen, sollte er in der aktuellen Form tatsächlich verabschiedet werden. Die Vorlage wurde von  Senator Simone Pillon von der rechtspopulistischen Lega eingebracht.

"Die Hindernisse für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, würden sich vervielfachen, auch in ökonomischer Hinsicht", sagt La Tella. "Die Vorlage stützt sich auf die Idee, dass einmal erworbene Rechte nicht zurückgenommen werden können. Damit stellt das Gesetz die wesentliche Idee einer Scheidung in Frage. "

Italien steht mit dieser Entwicklung in Europa nicht alleine da. Das Erstarken von rechtspopulistischen Bewegungen geht einher mit der Wiedererstarkung eines gesellschaftlichen Konservatismus. Dieser strebt danach, einige Errungenschaften im Bereich der Bürgerrechte und der weiblichen Selbstbestimmung zu beseitigen. In Polen beispielsweise hat der Versuch der Regierung, das bereits in weiten Teilen des Landes eingeschränkte Recht auf Abtreibung gesetzlich abzuschaffen, große Proteste ausgelöst.

Schutz traditioneller Familienbilder

Der Gesetzesentwurf von Simone Pillon will Italiens Scheidungsrecht grundlegend reformieren. Er sieht unter anderem vor, dass Paare vor einer Scheidung auf eigene Kosten an einer Familienmediation teilnehmen müssen. "Dieses Gesetz basiert auf einem Bedürfnis, das wir für unerlässlich halten", sagte Pillon kürzlich auf einer Pressekonferenz. "Das Bedürfnis, dass der Konflikt innerhalb der Familie nicht vor Gericht landet. Väter und Mütter sollten eine Einigung erzielen, wie sie das Sorgerecht für die Kinder aufteilen, bevor sie vor Gericht ziehen." Kritiker argumentieren jedoch, dass dieser und weitere Gesetzesvorschläge den jahrzehntelangen Fortschritt im Kampf für die Rechte der Frauen zunichte machen würde.

Die neue Regelung würde die beiden Elternteile dazu verpflichten, dass im Fall einer Trennung die Kinder je zur Hälfte bei der Mutter und beim Vater leben. Die bisherigen Unterhaltszahlungen sollen weitgehend wegfallen. Diese Regelung wäre zum Nachteil desjenigen Partners, der finanziell schlechtergestellt ist; in Italien ist das derzeit meistens die Frau.

"Dieser Gesetzesentwurf würde Frauen daran hindern, eine gewalttätige Beziehung zu beenden, weil er es schwieriger macht, den gewalttätigen Partner anzuzeigen und gleichzeitig das Sorgerecht für die Kinder zu behalten", sagt Lella Palladino, Präsidentin des Women's Network Against Violence, das ein landesweites Netzwerk von Frauenhäusern betreibt. "Diese Gesetzesvorlage verstärkt die Hemmungen von Müttern, häusliche Gewalt anzuzeigen, weil sie Angst haben, dass man ihnen ihre Kinder wegnimmt", sagt Palladino der DW.

Das Gesetz gehe von zwei Annahmen aus. Erstens, Frauen würden lügen, wenn sie Gewalt melden. Diese Annahme bliebe aufrecht, bis die Gewaltanwendung "nachgewiesen" ist. Zweitens, ein Kind würde ein Elternteil ablehnen, weil es vom anderen manipuliert wurde, um eine sogenannte "elterliche Entfremdung" auszulösen. Wissenschaftler bestreiten die Existenz dieses Syndroms.

Frauentag in Turin
Frauentag in Turin am 8. März 2018: Protestieren für Gleichstellung und gegen GewaltBild: picture-alliance/Zumapress/S. Guidi

Rückschritt per Gesetz

"Wir sind über diese Entwicklung besorgt, auch aus Sicht des Kindeswohls", sagt Palladino. Wenn Töchter oder Söhne sich weigerten, einen der beiden Elternteile zu sehen, was oft in Fällen von häuslicher Gewalt vorkomme, schiebe das Gesetz der Mutter die Schuld dafür zu, da sie ihre Kinder gegen den Vater aufgebracht hätten. Pillon sagte zwar, das Gesetz werde nicht in Fällen von häuslicher Gewaltausübung angewendet werden. Frauenrechtsorganisationen argumentieren aber, dass die Formulierung des Gesetzentwurfs zu vage gehalten sei. Darin heißt es, dass die Gewaltanwendung "bewiesen werden muss." Falls dies letztlich bedeuten würde, dass eine richterliche Verurteilung vorliegen müsse, würde das drei bis vier Jahre dauern.

Laut dem Gesetzesentwurf müsste das Kind in dieser Zeit auch das gewalttätige Elternteil sehen, weil das Gesetz das Sorgerecht für beide Eltern vorsieht. Der geschädigte Elternteil müsste fürchten, das Sorgerecht für das Kind zu verlieren, wenn es den Kontakt nicht unterstützt. Denn der gefährdende Elternteil könnte dem Partner oder der Partnerin vorwerfen, das Kind absichtlich von ihm oder ihr zu entfremden. Ein anderer Gesetzesentwurf, der gerade im italienischen Parlament diskutiert wird, sieht Letzteres als Straftat an.

Vergangenes Jahr hatte die für das Thema Gewalt gegen Frauen zuständige Referentin der UNO, Dubravka Šimonović, in einem Brief an die italienische Regierung ihre Besorgnis über den Entwurf geäußert. Sie schrieb, dass der Gesetzentwurf "Bestimmungen einführen würde, die einen schweren Rückschritt bewirken könnten, der die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern fördert" und "Überlebende von häuslicher Gewalt wichtiger Schutzmaßnahmen beraubt." 

Laut dem italienischen Statistikamt haben knapp sieben Millionen italienische Frauen Gewalt in irgendeiner Form erlebt. Davon haben 78 Prozent jedoch keine Anzeige erstattet und sich keine Hilfe geholt. 

Die anhaltende wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen Mann und Frau könnte eine zusätzliche Abschreckung für Frauen sein, die eine gewalttätigen Partner verlassen möchten. Insbesondere in Fällen, in denen Frauen nach der Trennung ihren Kinden möglicherweise nicht den gleichen Lebensstandard bieten könnten wie das andere Elternteil. "Wir sehen, dass sich dieses Gesetz gegen jeden einzigen Erfolg richtet, den italienische Frauen seit den 1970er Jahren errungen haben", sagt Palladino.