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Italien und die populistische Versuchung

Kersten Knipp17. Juli 2015

In Italien haben politische Scharfmacher großen Erfolg. Auch, weil das Land wirtschaftlich nicht vorankommt. Rechte und linke Populisten könnten sich zusammentun und den Aufstand gegen den Euro proben.

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Der Lega-Nord-Chef Renzi Salvini bei einer Rede in Rom, 28.02.2015 (Foto: Reuters)
Der Lega-Nord-Chef Matteo Salvini bei einer Rede in RomBild: Reuters/Max Rossi

Kaum hatte Angela Merkel heute im Bundestag an die Abgeordneten appelliert, den Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland zuzustimmen, waren die Worte der Kanzlerin auch schon ins Italienische übersetzt und fanden ihren Weg auf die Online-Seiten der großen Tageszeitungen, die bald auch über die Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten berichten konnten.

Mit Spannung hatte man auch in Italien zuvor nach Berlin geblickt. Mit seiner Entscheidung hat der Bundestag nun Deutschlands Ruf in Italien zumindest in Teilen wieder hergestellt. Denn der hatte in den letzten Wochen, insbesondere in den Tagen nach dem griechischen Referendum, sehr gelitten. Die strenge deutsche Ordnungspolitik war südlich der Alpen auf wenig Sympathie gestoßen.

Es gebe in Europa wieder eine deutsche Frage, hatte einen Tag vor der Abstimmung der Kolumnist Aldo Cazullo in der Tageszeitung Corriere della Sera geschrieben. Deutschland habe nun erreicht, was es in zwei Kriegen nicht geschafft habe: die Vorherrschaft in Europa zu erhalten. "Doch diese Vorherrschaft setzt das Land weder großzügig noch weitsichtig ein." Darum seien für den Erfolg von Tsipras und seiner Syriza-Partei Merkel und Schäuble mitverantwortlich. Merkel und Hollande stünden nicht für ein politisches Europa, sondern das der Gläubiger, heißt es in einem Meinungsbeitrag in der Zeitung La Stampa. Die beiden repräsentierten ein System, "in dem allein der Reichtum Maßstab für die Würde von Menschen und Staaten ist."

Beppe Grillo spricht zu seinen Anhängern, 16.02.2013 (Foto: Reuters)
Druck von Links: Beppe Grillo in AktionBild: Reuters

Populistisches Potential

Nimmt man die Kommentare der großen Tageszeitungen zum Maßstab, sind die Italiener größtenteils aufopferungsbereite Euro- und Europa-Enthusiasten, denen für den Erhalt des Kontinents und dessen humanistische Ideen kaum ein Opfer zu groß ist. Schaut man hingegen auf Meinungsumfragen, ergibt sich ein anderes Bild. Das Demoskopieinstitut Sondaggio Demopolis bestätigt in seinen regelmäßig aktualisierten Erhebungen zwar den Partito Democratico von Ministerpräsident Matteo Renzi als mit 31 Prozent weiterhin stärkste politische Kraft.

Aber ihm auf den Versen sind zwei populistische Parteien - die eine aus dem linken, die andere aus dem rechten Spektrum: Der Movimento 5 Stelle des ehemaligen Komikers Beppe Grillo mit 26 Prozent. Und die Lega Nord unter Matteo Salvini mit 16 Prozent. Vierstärkste Partei ist Fuerza Italia von Silvio Berlusconi, der den Populismus in Italien überhaupt erst groß hatte werden lassen.

Schimpfen auf die Eurozone

Was er von europäischer Solidarität hält, daran lässt Matteo Salvini keinen Zweifel. Die mit Griechenland zu Beginn dieser Woche ausgehandelten Vereinbarungen für neue Hilfszahlungen nannte er eine "Posse". Und wie sich Italien dazu stellen sollte, auch davon hat er klare Vorstellungen: "[Regierungschef] Renzi soll es nicht wagen, die Italiener auch nur einen Euro zahlen zu lassen." Ähnlich sehen das auch eine Reihe anderer Politiker vom rechten Rand: Giorgia Meloni von der Partei Fratelli d'Italia - Alleanza Nazionale - der erste Teil des Namens, die Brüder Italiens, sind ein Zitat aus der italienischen Nationalhymne - macht sich für einen Austritt aus dem Euro stark. In Rom käme die Partei jüngsten Umfragen zufolge auf derzeit sieben Prozent der Stimmen.

Junge Italiener demonstrieren gegen neue Arbeitsgesetze, 12.12. 2014 (Foto:AFP / Getty Images)
Junge Italiener demonstrieren gegen neue ArbeitsgesetzeBild: AFP/Getty Images/A. Pazzoli

Auf der linken Seite drischt Beppe Grillo auf das führende politische Personal der Eurozone ein. In einem in Auszügen vorab veröffentlichten Interview mit der Financial Times bezeichnet er den EU-Kommissionsvorsitzenden Jean-Claude-Juncker sowie Kanzlerin Angela Merkel als "krank". Beide litten an mangelnder Empathie und könnten sich nicht in andere Menschen hineinfühlen. "Das wichtigste ist für sie, den Haushalt in Ordnung zu halten." Das Leid von Millionen Menschen sei für sie nur ein "Kollateralschaden". Die deutsche Politik, so Grillo auf seiner privaten Website, verfolge vor allem ein Ziel: "die Erniedrigung der Demokratie".

Geldwäsche und Steuerhinterziehung

Bislang kommen solche Worte bei einem Viertel der Bevölkerung gut an. Dieses scheint nach Jahren der Stagnation immer empfänglicher für solche Botschaften. Das Land ist mit 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, die Wirtschaft kommt kaum von der Stelle - für das laufende Jahr erwartet der Internationale Währungsfonds ein Wachstum von 0,7 Prozent. Die Arbeitslosigkeit liegt trotz einer umfassenden Arbeitsmarktreform bei gut 12 Prozent, unter den Jugendlichen bis 24 Jahre haben über 42 Prozent keinen Job.

Unter solchen Umständen lässt das Vertrauen der Italiener in ihren Staat nach. Die italienische Zentralbank warnte kürzlich, Geldwäsche und Steuerhinterziehung nähmen immer weiter zu. Der ohnehin verschuldete Staat blutet weiter aus.

Angela Merkel und Matteo Renzi auf einer Pressekonferenz in Florenz (Foto: Bundesregierung/Bergmann/dpa)
Dialog auf Distanz: Angela Merkel und Matteo Renzi, dazwischen der David von MichelangeloBild: picture-alliance/dpa/Bundesregierung/G. Bergmann

Gefahr eines zweiten Griechenlands

Das Szenario ist demjenigen Griechenlands nicht ganz unähnlich. Noch begnügen sich die 5-Sterne-Bewegung und der Lega Nord mit Verbalattacken auf Merkel, Brüssel und den Euro. Aber das Beispiel Griechenland hat gezeigt, dass linke und rechte Radikale durchaus zusammenfinden können. Dieses Szenario will Ministerpräsident Matteo Renzi verhindern. Gut möglich, dass er auch darum öffentlich auf Distanz zu Merkel geht. Italien, gibt Renzi seinen Landsleuten zu verstehen, ist ein unabhängiger Staat und lässt sich seinen politischen Kurs von niemandem aufzwingen. Die politische Souveränität stehe nicht in Frage. Um die ökonomische muss Renzi alleridngs ringen. Ansonsten könnte die Stunde der Populisten schlagen. Und Europa hätte ein zweites Griechenland.